„Staatsaktenlager“ Siemens/Hanau

Genehmigungsakten aus dem Umweltministerium für die Siemens-Brennelementefabrik in Hanau wurden unter der Ex-CDU/FDP-Landesregierung bei Siemens zwischengelagert  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) — Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) hatte vorgebaut: Noch bevor in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden der bislang wohl politisch brisanteste Atomskandal ruchbar wurde, hatte der oberste Atomaufseher der Republik seinem Amtskollegen Joschka Fischer (Die Grünen) einen kurzen Brief geschrieben. Tenor: Der Grüne möge bitte umgehend untersuchen, wie atomrechtliche Genehmigungsakten aus dem hessischen Umweltministerium im Dezember 1990 zur Brennelementefabrik der Firma Siemens in Hanau hätten gelangen können.

Der Umweltminister der rot-grünen Hessenkoalition soll aufklären, was sich unter der Ägide seines Vorgängers Karl-Heinz Weimar (CDU) an „unglaublichen Vorgängen“, so Eduard Bernhard vom BBU, in Wiesbaden abgespielt hat: Staatsakten der abschließenden Teilgenehmigung für die Brennelementefabrik der Firma Siemens (Ex-Alkem) des Umweltministeriums wurden ausgerechnet bei Siemens in Hanau zwischengelagert — weil es im Ministerium aufgrund eines Umzugs „Platzproblme“ gegeben hätte. Das jedenfalls ist die Version von Siemens- Pressesprecher Rainer Jendt, der ausdrücklich darauf verwies, daß Siemens die Akten „auf Bitten des Ministeriums nur gelagert“ habe.

Aufgrund der dubiosen Vorgänge unter Weimar hat Joschka Fischer nach Informationen der taz gegen acht Beamte aus der Atomabteilung des Ministeriums inzwischen Vorermittlungen wegen des „Verdachts auf Verwahrungsbruch“ eingeleitet. Wie Fischers Pressesprecher Georg Dick auf Nachfrage erklärte, würden zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Namen genannt. Dick: „Wir behandeln die ganze Angelegenheit sehr sorgfältig. Ich bestätige, daß es Ermittlungen gibt. Und ich bestätige, daß unter Weimar die Akten in toto zur Siemens geschafft wurden.“ Ob an den Akten — in Absprache mit den Beamten der Atomabteilung — Manipulationen zugunsten von Siemens vorgenommen wurden, soll durch eine exakte Expertenüberprüfung, die bereits eingeleitet wurde, abschließend geklärt werden.

Während man im Hause Fischer alleine den Akt der Auslagerung von Genehmigungsakten an die zu genehmigende Atomfirma für „rechtswidrig“ hält, sprach Ex-Umweltminister Weimar gestern von einer „Unbedachtsamkeit“, die er bei Kenntnis „selbstverständlich verhindert“ hätte. Die Genehmigungen, so Weimar und sein damaliger Staatssekretär Manfred Popp, seien „nach ausführlicher Prüfung und in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium“ erteilt worden. Für die Landtagsfraktion der hessischen CDU ist die „ganze Aktion“ ohnehin nur ein weiterer Versuch, die Hanauer Atombetriebe in öffentlichen Mißkredit zu bringen. CDU-Fraktionschef Koch bezeichnete die Lagerung der Akten in Räumen der Firma Siemens als „Dummheit“. Die Auslagerung alleine sei allerdings „kein Problem für die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen“.

Seinerzeit hatte die CDU/FDP- Landesregierung noch kurz vor den Landtagswahlen Siemens die abschließende Teilgenehmigung für die Mischoxydbrennelemente-Fertigung im Eilverfahren erteilt. Die Auslagerung der Akten zu Siemens wurde intern bekannt, nachdem der Verwaltungsgerichtshof Anfang 1991 die Akten angefordert hatte — und sie im Ministerium nicht an ihrem Platz waren. Dieser Vorgang wurde der Nachfolgeregierung offenbar verschwiegen.

Die Hanauer Bürgerinitiative (IUH) und der BBU fordern die Einsetzung eines Landtags-Untersuchungsausschusses. Eduard Bernhard (BBU): „Jeder halbwegs integre Beamte hätte die Akten doch in einem anderen Ministerium oder beim LKA zwischengelagert.“ Mit seinem Brief an Fischer, mit dem Töpfer offenbar seine Unwissenheit noch vor der Aufdeckung des Skandals habe unter Beweis stellen wollen, sei der Bundesminister damit allerdings keinesfalls „aus dem Schneider“. Wie die Forderung nach Aufhebung der von Fischer verordneten Teilstillegung in Hanau gezeigt habe, sei Töpfer der „oberste Atompapst“ der Republik — und deshalb mitverantwortlich für das Treiben im Ministerium seines Parteifreundes Weimar.