nur ein sprachproblem?

■ selbstinterview eines „nichtrichtigen ausländers“

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Käse und

Mäuse

Die Schweiz, gesehen von Hervé Maillet

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meist geschieht es dann, wenn morgens die sonne durch die vorhänge des zimmers scheint. als erstes, glaube ich, höre ich vogelstimmen. dann aber wird mir klar, ich höre menschenstimmen. vor dem fenster sprechen leute. die stimmen klingen vertraut, aber wie es so durch die ohren ins innere meines gehirns dringt, fühle ich mich völlig gespalten. ich höre und — ich verstehe nicht, obwohl ich bemerke, dass ich die sprache kenne. mein gehirn kann sich zwischen zwei mir geläufigen sprachen nicht entscheiden. dabei sind beide sprachen gar nicht so unterschiedlich. und da liegt das unheimliche an diesem zustand.

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wenn sie mit einem schweizer sprechen, dann können sie als deutsche doch — bei einiger anstrengung und mit gutem willen — diese sprache wenigstens wort- weise verstehen.

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ich bin in der schweiz — zweisprachig — aufgewachsen. meine muttersprache ist — deutsch. meine eltern emigrierten — als auslandsschweizer — während des zweiten weltkriegs aus deutschland und rumänien in die schweiz. als sie sich dort trafen, sprachen sie natürlich kein „schwytzer-tütsch“...

dies brachte mir spätestens im kindergarten die ersten probleme. eine ganze weile wollte ich da nicht mehr hingehen, ich fühlte mich zu „ausländisch“. obwohl ich doch schweizer war. wenn ich mit meiner mutter im bus saß, sprach ich möglichst nicht mit ihr. es war mir unangenehm, dass man mich deutsch sprechen hören könnte. die deutschen waren um 1955 alles andere als beliebt in der schweiz.

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auf der strass lernte ich dann, die sprache meines sogenannten heimatlandes sprechen. als dann allerdings später in der schule deutsch gelernt werden musste, glaubte ich, fein raus zu sein.

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als junger erwachsener kam ich - nunmehr schauspieler — nach deutschland. da musste ich mit schrecken feststellen, dass ich hier leicht als schweizer erkennbar war. da hatte ich nun einen beruf, in dem man die deutsche sprache perfekt beherrschen sollte, und nun wurde ich dauernd auf meinen „interessanten“ schweizer dialekt hingewiesen. verdammt! jetzt setze ich alles daran, um meine heimatsprache aus meiner muttersprache zu verdrängen.

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nun wache ich also morgens auf und höre diese stimmen, weiss, dass sie eine von meinen beiden sprachen sprechen, kann aber minutenlang nichts verstehen — kein anschluß unter dieser sprache! heute identifizieren mich hier in deutschland nicht mehr viele menschen als „ausländer“. die schweiz ist ja kein „problemland“. und dann dieser „beinahe- deutsche“ dialekt, der so spassig klingt. emil lässt grüssen.

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ich lausche gern deutsch-schweizer gesprächen. ich habe mich zu einem sensiblen beobachter entwickelt. so sehe ich, wie der schweizer mit seinem breiten „schweizer-hochdeutsch“, sobald er hier in (nord-)deutschland den mund auftut, den ausdruck des „sich-fremd-fühlenden“ annimmt. etwas bemüht klingt seine sprache in ihrer merkwürdigen behäbigkeit, die auch seinem denken eigen ist, während die deutschen zuhörer — immer geduldig lächelnd — eben zuhören. dieses geduldige lächeln jagt manchen schweizer einen schauer über den rücken, und wenn dann der nordische deutsche mit der beflügelten sprechweise loslegt, die seinem denken in langen satzbögen entspricht, dann sehe ich im inneren vieler schweizer etwas wie eine „stille verzweiflung“. diese hoch-deutsche fluss überfordert ihn förmlich!

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wenn ich heute in die schweiz fahre, gehe ich dort ohne weiteres als „deutscher“ durch. so werde ich in meinem heimatland als mutmasslicher „ausländer“ äussertst freundlich behandelt, höre aber mit halbem ohr beim verlassen eines lokals noch, wie man über „die tütsche“ herzieht. dabei habe ich mich doch ordentlich benommen — nur zu schnell und zu deutsch gesprochen habe ich! ...

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in bremen lebe ich heute als weitestgehend integriertes mitglied der hiesigen gesellschaft, bin kulturpolitisch tätig und bringe mich künstlerisch ein. ich argumentiere wie ein deutscher und demo... — aber da ist wieder dieser knoten — ich demonstriere nicht als deutscher, denn über die belange der politik z.b. darf ich ja nicht entscheiden (zumindest nicht als wähler). nein, demonstrieren tue ich als „mensch“, (was auch immer das sei). und in diesen augenblicken, wenn ich mich emotional gegen unrecht stelle, da beginnt wieder diese innere schizophrenie: der sprachbereich meines gehirns streikt. ich weiss nicht, in welcher sprache ich mich ausdrücken soll. dies sind augenblicke grösster fremdheit. so ist meine solidarität mit unrecht-behandelten immer verbunden mit eigenem fremdsein.

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ich fühle mich fremder hier, je mehr ausländerhetze beschrieben wird. ich fühle mich als „nicht- richtiger-ausländer“ zutiefst verbunden mit jedem, der aus der fremde kommt. ich fühle mich unter fremden meist sehr zuhause und fühle mich momentan in deutschland sehr fremd.

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nicht, dass ich mich in der schweiz heimischer fühle, denn da wird genauso gehetzt. aber vielleicht habe ich da einfach ein sprachproblem — wenn–s weiter nichts ist meinen sie?

grüezi mitenand!

Jürgen Müller-Ohtzen