Extra eine Platte, damit ich meine Akte nicht sehe

■ Besuch einer »Second-class-Ausländerin« bei der Ausländerbehörde

Berlin. Es geschah alles in der Zeit, bevor ich verstand, daß man Gründe haben muß, um irgendwo zu bleiben.

Ich hatte mir vorgestellt, wie wir uns begegnen würden — ich und Deutschland — in der Mitte sozusagen, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Aber es stellte sich schnell heraus, daß Deutschland nicht so offen für mich war wie ich für Deutschland. Mittlerweile verstehe ich ja, daß ich viel zu naiv gewesen bin und viel zuviel erwartet hatte. Ich verstehe jetzt die Notwendigkeit, mich auf dem Postamt anscheißen zu lassen, wenn ich in schlechtem Deutsch stotternd versuche, meine Bedürfnisse auszusprechen — wer würde sich über so was nicht ärgern? Es ist einfach schlecht, nicht zu wissen, wie es hier vor sich geht. Die Normalität ist hier eben anders als woanders, aber daran kann ja jedermann nicht denken, weil wir hier ja in Deutschland sind. Und dann bleibt einem nichts anderes übrig, als zu versuchen, sich der deutschen Normalität anzupassen.

Außer diesen anfänglichen Problemen mit der Anpassung hatte ich als illegale Ausländerin auch andere Probleme. Ich durfte kein Bankkonto eröffnen, da ich polizeilich nicht gemeldet war und durfte aus dem gleichen Grunde bei der Bücherei keine Bücher ausleihen. Es gab nur eines zu tun: Ich entschloß mich, legal zu werden.

Ich gehöre nicht zu den schlimmsten Ausländern. Habe keine Brandbombe ins Bett geschmissen gekriegt, aber ich gehöre auch nicht zu den First-class-Ausländern aus den EG-Ländern. Ich bin eine Second- class-Ausländerin, und wie viele Klassen es noch nach mir gibt, kann wohl niemand abschätzen.

Ich habe Drohbriefe von der Polizei bekommen, als sie davon erfuhren, daß ich hier bin. Ich glaube zumindest, es waren Drohbriefe, ich konnte sie kaum verstehen, sie bestanden aus Paragraphen, und kündigten an, mich zu holen, wenn ich versäumen würde, auszureisen.

Dann verstand ich die Notwendigkeit eines Grundes, um hier bleiben zu dürfen. Also einen richtigen Grund, nicht nur just for fun, Abwechslungsbedürfnis oder so etwas Banales wie Liebe.

Job oder Studium sind richtige Gründe, und ich wählte natürlich das letztere, da solche wie ich bekanntlich nicht gern Steuern zahlen.

Da machte ich Bekanntschaft mit der Ausländerbehörde. Sie befindet sich in einem großen Gebäude im Wedding, das im Gegensatz zu den alten Räumen in der Puttkamerstraße auf die Mengen vorbereitet ist, die — wie wir jetzt alle wissen — angetrödelt kommen. Das Polizeigitter steht immer bereit, uns im Zickzack zur Tür trotteln zu lassen, falls wir zu viele werden würden.

Der erste, der einem begegnet, ist der Pförtner, der aussieht, als würde er dich am liebsten gar nicht angucken müssen. Natürlich spricht er nur Deutsch. Der Eingang, den ich benutze, ist nur für Leute mit richtigen Gründen. Es gibt ja noch die anderen, deren Gründe eher schwammig sind, wie zum Beispiel Hunger oder Verfolgung, die objektiv natürlich sehr schwer festzustellen sind. Sie haben ihren eigenen Eingang.

Von dem Pförtner kriege ich eine Wartenummer in einer besonderen Farbe. Pfefferminzgrün ist meine Farbe für die Buchstaben Ci-Erj. Dann brauche ich nur dem Pfefferminzgrün zu folgen, sehr praktisch und gut für Leute, die vielleicht die Buchstaben nicht kennen. Danach muß man Ruhe bewahren und ein paar Stunden warten, schließlich sind wir viele, viel zu viele, die an der deutschen Wohlfahrt knabbern wollen. Dann bist du dran und kommst in einen kleinen Stand, ein Quadratmeter für dich, vor dir eine Plexiglasscheibe und dahinter Tausende von Akten. Du weißt, irgendwo da hängt deine Zukunft. Sie haben extra eine Platte an ihrer Seite der Theke gebaut, damit ich überhaupt nichts von meiner Akte oder von seinen Händen zu sehen bekomme, es geht mich ja nichts an, das weiß ich schon, das habe ich gelernt. Es soll einen Unsicherheitseffekt bewirken, daß ich nicht sehen kann, was er mit meiner Akte tut, aber es trifft mich nicht, weil ich schon weiß, wo ich hingehöre, nämlich zur Second-class.

Danach muß ich noch ein bißchen warten, aber nicht so lange wie das erste Mal. Meine zweite Nummer leuchtet auf, und ich gehe in einen anderen Raum mit ein bißchen weniger Akten. Da geben sie mir einen schönen Stempel in meinen Paß, den ich natürlich nicht lesen kann, und während ich für die Behandlung meiner Angelegenheit zahlen muß, bedanke ich mich mehrmals in aller Bescheidenheit. Jetzt habe ich noch zwei Jahre, in denen ich fast alles machen darf wie Deutsche auch. Helena Ericsson