Mehr Angst vor Stichen meiner Freunde als vor Skins

■ »Die Deutschen sind nicht rassistischer als andere Völker«, sagt meine Bekannte und schaut mir in die Augen, um zu sehen, ob ich ihr glaube/ In diesem Moment drehen sich 55 Millionen mit einem Seufzer in ihren Gräbern um/ Ein »Ausländer« ist ein »Problem«, das gelöst werden muß

Jede Verallgemeinerung ist falsch. Auch die folgende.«Thomas Morus

Als Bundespäsident Weizsäcker ein arabisches Kind auf den Arm nahm, flackerten mindestens 80 Blitzlichter auf. Der Herr Präsident ein Alibi: Jetzt weiß die ganze Welt, daß Herr Weizsäcker kein Rassist ist, er hielt ja ein arabisches Kind in seinen Armen. Um in demselben Milieu zu bleiben: Der Bundeskanzler schämte sich im Bundestag für Hoyerswerda & Co, aber... Dieses »aber«, das dann zu einer umfangreichen Begründung ausgebaut wurde, wirkte wie das Öffnen eines Ventils, wie eine moralische Zustimmung. Interessant ist auch die Behauptung des Kanzlers, das Problem sei gar nicht so groß, wie es die ausländischen Medien darstellten. Also sind die Ausländer wieder an allem schuld.

Vor zwei Jahren stand sie vor mir auf der Rolltreppe im U-Bahnhof Möckernbrücke im blauen Licht der Leuchtröhren und sah müde aus. Sie trug abgelatschte Schuhe, billige Hosen und eine schäbige Jacke. Auf ihrem Rücken las ich den Spruch: »Ausländer, laßt mich nicht mit diesen Doitschen allein.«

Gestern drängte sie uns auf der Autobahn mit ihrem klapprigen Schrottwagen ab, weil wir ihrer Meinung nach zu langsam fuhren. Sie zeigte uns ihren ausgestreckten Mittelfinger und lachte aus vollem Halse. Als Roger ihr zurief, sie solle anhalten und vor Empörung und Aufregung englische und deutsche Wörter verwechselte, schrie sie ihn an: »Du Ausländer, lern erst einmal sprechen wie ein Mensch!« Wie ein Mensch — also Deutscher.

Das Wort Ausländer hat in Deutschland eine äußerst negative Bedeutung. Vor fünfzig Jahren füllten Ausländer die KZs, Arbeitslager und Ghettos. Dann warfen sie Bomben auf Berlin und Dresden, später organisierten sie die Nürnberger Prozesse, und danach kamen sie für die Drecksarbeit — als sogenannte Gastarbeiter. (Das ist ein spezieller deutscher Euphemismus, über den außer den Deutschen die ganze Welt lacht.)

So ist also ein Ausländer für die Deutschen seit mindestens 60 Jahren ein Feind oder ein Sklave — zumindest ein potentieller Feind oder Sklave. Egal wie er auftritt, er ist immer ein Problem, das gelöst werden muß. Die deutsche Xenophobie ist so unerforscht wie das ewige Eis oder die schwarzen Löcher im Weltraum. Sie braucht immer den Ausländer, um die Trägheit, die Monotonie und die Verbote des Alltagslebens zu überwinden.

Geistlose Asyldebatte

Nach meinen Möglichkeiten versuche ich, die geistlose Asyldebatte im Bundestag zu verfolgen. Kurz gesagt, ist es eine Diskussion darüber, wieweit das Böse fortgeschritten sei und wie es durch juristische und wirtschaftliche Maßnahmen eingedämmt werden könnte. Es geht um das Know-how. Leider muß ich an eine Villa am Wannsee denken.

»Was wollen sie von uns, alle diese Ausländer? Wir können sie doch nicht alle ernähren!«, sagt zu mir verzweifelt die Frau des Professors T. Ich schaue sie über dem dampfenden Wischlappen auf dem Fußboden an und schweige. Müde.

Vielleicht wäre es interessant zu überlegen, inwiefern die Mühen der Zwangsarbeiter, Gastarbeiter und Schwarzarbeiter zum deutschen Wohlstand beigetragen haben. Wieviel mehr wäre erreicht worden, wenn sie nicht systematisch in die Rolle der Lasttiere abgedrängt worden wären. »Arbeit macht frei« — sagte die Inschrift über einem berühmten Eingangstor. »Arbeitserlaubnis macht frei« — sollte über allen Toren nach Deutschland stehen.

»Ein türkischer Bundeskanzler?« — fragte einmal perfide der 'Spiegel‘, als er sich Gedanken machte über die Zukunft der multikulturellen Gesellschaft der Bundesrepublik. Die Idee vom türkischen Bundeskanzler hielt man für aberwitzig. Wir Ausländer wissen, wo wir hingehören. Selbst wenn der Bundespräsident, um zu beweisen, daß er nicht polenfeindlich sei, sich gemeinsam mit mir fotografieren ließe, würde es mir nicht in den Kopf steigen.

Verglichen mit Polen erzählt man hier weniger Witze, außerdem sind sie von einer anderen Art. Folgenden Witz habe ich heute in der U-Bahn gehört: Ein Schwarzer kommt zum Arzt. »Was fehlt Ihnen?« »Halsschmerzen.« »Machen Sie den Oberkörper frei und stellen sie sich ans Fenster. Und jetzt in die Ecke. Und jetzt stellen Sie sich unter das Bild. Danke, ziehen Sie sich wieder an.« »Aber Herr Doktor, was hat das mit den Halsschmerzen zu tun?.« »Nichts, aber ich will mir einen Ebenholztisch kaufen, und ich wollte feststellen, wo er am besten hinpaßt.« Fröhliches Gelächter.

Die Deutschen sind keine Rassisten. Nur die ausländischen Medien stellen sie so dar. Die Deutschen sind keine Rassisten. »Jedenfalls sind sie nicht rassistischer als andere Völker«, sagt meine deutsche Bekannte und schaut mir dabei in die Augen, um zu sehen, ob ich ihr glaube. In diesem Moment drehen sich 55 Millionen mit einem Seufzer in ihren Gräbern um. »Entschuldigung für diese Geschmacklosigkeit.«

Eine junge Lehrerin erklärte meinem Sohn im Geschichtsunterricht an einer Berliner Grundschule, daß der Zweite Weltkrieg von Hitler, einem Österreicher, verursacht wurde. (Also wieder ein Ausländer. Die Deutschen sind keine Rassisten.)

Zur Zeit habe ich noch keine Angst vor dem glatzköpfigen, mit Steinen werfenden Rassisten, vor dem Rassisten, der mir in einer dunklen menschenleeren Straße gegenübersteht und der mich und meine Hilflosigkeit braucht, um eigene Komplexe und Ängste loszuwerden. Um so mehr fürchte ich mich vor den unzähligen Stichen meiner deutschen Freunde, die unbewußt und im besten Glauben mich nicht vergessen lassen, wer ich bin und wer ich nicht sein darf. Aber sie meinen es gut mit mir, und ich weiß das zu schätzen.

Zum Beispiel gibt mir jetzt die taz die einmalige Chance, ein einziges Mal zu meinem früheren Beruf zurückzukehren, falls das, was ich hier schreibe, für interessant befunden und vielleicht auch veröffentlicht wird. Und um die Wahrheit zu sagen, ist es mir peinlich, gerade bei dieser Gelegenheit so unangenehme Sachen zu schreiben.

Vor kurzem sah ich in einer Illustrierten das Foto eines hübschen Mädchens mit der begeisterten Überschrift »Unsere erste farbige Moderatorin«. Das Mädchen tat mir leid, obwohl der Verfasser voller Stolz zu sagen schien: »Na bitte, eine Farbige, und trotzdem wird sie im Fernsehen auftreten«.

Die Ereignisse in Hoyerswerda, Hünxe, Zittau, Greifswald und anderen Ortschaften sind Beispiele eines Volksrassismus und sind nicht vom Himmel gefallen. Sie wuchsen aus Banalitäten, aus Scherben längst zerbrochener Spiegel, in denen sich alte Ungeheuer widerspiegeln. Um diese Scherben kümmert sich niemand, obwohl die alten Gespenster sich ganz darin sehen können.

Die Jugendlichen aus Hoyerswerda wissen nach den ersten Prozessen, daß man es besser vermeiden sollte, Ausländer vor Zeugen zu verprügeln, weil man dafür eine Geldstrafe zahlen muß, außer, man ist minderjährig. Dann darf man es auch vor Zeugen tun. Das deutsche Recht schützt einen Ausländer gar nicht. Die Artikel 130, 130a und 131 des Strafgesetzbuches sind aus den tragischen Erfahrungen des Antisemitismus entwachsen und beziehen sich nicht auf Ausländer, noch weniger auf Asylbewerber. Deshalb wird der indirekte Rassismus von Amts wegen nicht verfolgt.

»Die erste deutsche farbige Moderatorin« könnte die Redaktion der Illustrierten eventuell wegen Verletzung der persönlichen Würde verklagen, aber man kann sich vorstellen, wie erstaunt und überrascht sie wären.

In Anspielung auf die bekannte Äußerung von Sartre, daß die Juden eine Erfindung der Christen seien, könnte man sagen, daß die Ausländer ein Produkt der Deutschen sind, derjenigen Deutschen, die dem Prozeß der Assimilierung der Ausländer in Deutschland entgegenwirken. Freilich haben die Deutschen jetzt alle Hände voll zu tun mit der Assimilierung von Aus- und Übersiedlern, und das ist schon sehr viel. Außerdem bin ich als Ausländerin sicher überempfindlich. Joanna Mieszko