Bir varmiș bir yokmuș

■ Es war einmal.../ Viele Arbeitsimmigranten fühlten sich in den 60er Jahren außerordentlich freundlich von den Deutschen aufgenommen/ Erinnerungen eines angeworbenen Türken

30. 10. 1961 ist das offizielle Datum des Abkommens hinsichtlich der Anwerbung und der Vermittlung der türkischen Arbeitskräfte in Westdeutschland. Das war vor 30 Jahren. Das 30. Jubiläumsjahr der Arbeitsimmigration feiert man heutzutage mit trüben Aussichten. Nicht nur die arbeitsmarktpolitische Verbesserung läßt auf sich warten, sondern das Zusammenleben zwischen den eingewanderten Menschen und der einheimischen Bevölkerung — insbesondere nach der deutschen Vereinigung — steht unter starken Spannungen. Wie war es vor 25, 30 Jahren? Gab es ausländerfeindliche Übergriffe in West-Berlin in den 60er Jahren? Einer von etwa 135.000 Berliner Türken ist Ahmet Yeter (62). Er hat sich Anfang der 60er Jahre für eine Beschäftigung in Deutschland anwerben lassen. Damals arbeitete er in der ägäischen Küstenstadt Izmir als Kontrolleur der städtischen Busse. Als die Westberliner Firma »Eternit« ihn aus der Türkei angeworben hatte, kam er Mitte 1964 nach West-Berlin. Er schuftete, arbeitete und wurde selbständig. Seit 1971 betreibt er das beliebte türkische Restaurant »Bolkepçe« (auf deutsch: Volle Kelle) am Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg. Als ein Zeitgenosse der ersten türkischen Arbeitsmigranten in Berlin erzählt Ahmet Yeter, wie damals der Umgang zwischen den Menschen war. Seine Erzählung klingt wie eine Ironie angesichts er aktuellen, menschenverachtenden Ausschreitungen gegenüber der nichtdeutschen Bevölkerung.

»Im Juni des Jahres 1964 bin ich wegen der Reise nach Deutschland von Izmir nach Istanbul gefahren. In Istanbul wurde ich von einem deutschen Arzt untersucht, ob ich arbeitstauglich bin. Danach sind wir, 18 Türken, von Istanbul per Zug nach München gefahren. Die Arbeitsvermittlung in Istanbul hat uns als Reiseverpflegung ein Nahrungspaket und 50 türkische Lira gegeben. In München haben sie uns in einem Kellerraum gesammelt. Während sie das Essen verteilten, teilte uns ein türkischer Dolmetscher mit, daß es im Essen kein Schweinefleisch gäbe, sondern nur türkisches Fleisch. Wir sollten in aller Ruhe dieses Essen verzehren. Die meisten von uns haben das Essen trotzdem nicht angerührt.

Nach dem Essen sind wir alle zum Flughafen gefahren und von dort aus nach West-Berlin geflogen. Am Tempelhofer Flughafen warteten auf uns die Chefs, Meister, Dolmetscher und verschiedene Werksangehörige der Firma »Eternit« (Asbestverarbeitung). Nach freundlichem Empfang sind wir alle zusammen zu einem Fotoladen an der Yorckstraße Ecke Mehringdamm gefahren, und dort wurden von jedem von uns zwei Fotos gemacht. Anschließend gingen wir zum Arbeiterwohnheim der Firma in der Wilhelmstraße in Kreuzberg.

Im Empfangssaal des Wohnheims, wo ein Fernsehapparat stand, wurden wir per Übersetzer offiziell begrüßt. Der Werksleiter hat uns 50 Mark Begrüßungsgeld gegeben. Nach der gegenseitigen Vorstellung durften wir zu zweit oder dritt unsere Schlafräume aussuchen.

Am nächsten Tag hat uns ein Arbeiter der Firma abgeholt. Zusammen sind wir vom Halleschen Tor mit der U-Bahn zum Werk gefahren. In den Werkshallen sind wir auf die verschiedenen Gruppen verteilt worden, nachdem der Meister uns Kopfschutzhelme, Handschuhe und Gummistiefel gegeben hatte. Wir arbeiteten mit unseren deutschen Kollegen zwar zusammen, konnten aber kein Wort Deutsch sprechen. Damals hatten wir nur Schichtarbeit geleistet.

Die Schichtarbeit war für uns sehr ungewöhnlich. Ich mußte um 22 Uhr in der Nacht anfangen zu arbeiten. Bis 6 Uhr morgens mußten wir durchhalten. Morgens waren wir alle in einem Zustand der Schlaftrunkenheit. Oft sind wir im U-Bahn-Zug eingeschlafen und haben unseren Bahnhof verpaßt. An bestimmten Tagen war ich mit ein paar Arbeitskollegen nach Hause gekommen, und wir fragten uns, wo alle anderen geblieben sind. Sie sind in schlaftrunkenem Zustand weitergefahren. Manche fanden den Weg nicht zurück. Die Polizei hat sie per Funkwagen ins Wohnheim zurückgebracht. Es war für uns alle nicht leicht, uns an diese Schichtarbeit zu gewöhnen.

Was die Freundschaft zwischen den Türken und Deutschen von damals betrifft, erzähle ich jetzt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit: Wohin man gegangen ist, in welchem Lokal man sich befand, immer haben uns die Deutschen sehr freundlich begrüßt. Wir waren oft Gast bei ihnen zu Hause. In den Lokalen, wo wir mit den Deutschen gemeinsam tranken, durften wir nicht mitbezahlen. Sie mochten uns gerne.

Wenn man krank war oder im Krankenhaus lag, ist man sogar vom Chef oder dem Meister persönlich besucht worden. Sie haben Blumen mitgebracht und gute Genesung gewünscht. Ich erinnere mich sehr genau, daß an offiziellen und christlichen Festtagen die Teller auf den Tischen im Wohnheim voll waren mit Obst und Kuchen. Diese Geschenke kamen von der Firma.

Noch eine tolle Erinnerung von damals: Als wir in West-Berlin neu waren, war Herr Willy Brandt der Regierende Bürgermeister. Er hat uns alle einmal zum Rathaus Schöneberg eingeladen. Bei der Begrüßung wurden gegenseitig Reden gehalten. Anschließend gab es allerlei Kulinarisches. Es fehlte nur die Vogelmilch. Sogar Zigarillos wurden verteilt.

Ja! Das waren die Zeiten. Und jetzt? Wenn man sagt, daß man ein Türke ist, kann es einem passieren, daß sie sich umdrehen und weggehen.« Öczan Ayanoglu