Die Ruhe im Äther ist trügerisch

■ Noch können die Berliner zwischen zahlreichen Radio- und Fernsehsendern auswählen. Zum Jahresende wird das Angebot erst einmal schrumpfen: Die einstigen Ost-Sender werden abgewickelt. Wenn allerdings...

Noch können die Berliner zwischen zahlreichen Radio- und Fernsehsendern auswählen. Zum Jahresende wird das Angebot erst einmal schrumpfen: Die einstigen Ost-Sender werden abgewickelt. Wenn allerdings demnächst die Frequenzen der Alliierten frei werden, droht noch mehr privater Dudelfunk.

VON KARL-HEINZ STAMM

I

m Vergleich zur aufgeregten Entwicklung auf dem Zeitungsmarkt herrscht im Berliner Äther der Rundfunkwellen eine fast beängstigende Ruhe. Denn seit dem medienpolitischen Urknall, der auch den Berlinern die Privaten brachte, ist der Himmel über der Stadt dreigeteilt. Ein Drittel der Hörer geht an den öffentlich-rechtlichen „Sender Freies Berlin“ (SFB), ein Drittel hat der „Rundfunk im Amerikanischen Sektor“ (RIAS) okupiert, und im letzten Teil tummeln sich die Privaten. Einzig hier gab es in letzter Zeit eine Veränderung. Als nämlich das linksalternative „Radio 100“, das 1987 als „Feigenblatt“ zur Einführung des Kommerzfunks diente, den Konkurs anmeldete, mußte die Lizenz neu vergeben werden. Sieger war Thomas Thimme, der alte und neue Geschäftsführer. Er betreibt nun mit einem französischen Mehrheitsgesellschafter „Radio Energy“. Die Spitzenstellung bei den Privaten nimmt ohnehin der Sender des agilen Ex-Filmemachers Ulrich Schamoni ein. Sein „Radio 100,6“ erfreut sich seit seiner Gründung der besonderen Protektion aus Bau- und Senatskreisen.

Doch jetzt kommt Bewegung in den Äther. Der Wettbewerb wird schärfer, mehr Mut zum Risiko ist gefragt. Ab 22. November geht „Info- Radio“ auf Sendung. Ein Programm, das keine Musik kennt und ausschließlich aus Nachrichten besteht, die in einem 10-Minuten-Takt aktualisiert und wiederholt werden. Über entsprechende Töchter sind der 'Tagesspiegel‘, die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, die 'Süddeutsche Zeitung‘ und die „Radio-Schleswig- Holstein GmbH“ an dem Projekt beteiligt.

Bereits seit dem 10. September ist „104,6 RTL Radio“ (ein Unternehmen der Luxemburger CLT-Gruppe) zu hören. Da die Studioräume im Ku'damm-Karree noch nicht bezugsfertig sind, sendet der Musiksender aus einem Ü-Wagen, der jeden Tag auf einem anderen Platz steht. Noch wird ein Minimalprogramm — oder das, was man dafür hält — von täglich drei Stunden produziert; der Rest kommt aus Luxemburg, doch das soll sich bald ändern.

Die größte Bewegung aber bringt die Abwicklung der einstigen Ostprogramme. Denn laut Staatsvertrag müssen die einstigen Staatssender zum 31.12. abgeschaltet werden. Voraussichtlich sind nur zwei Sender davon betroffen, denn für den „Berliner Rundfunk“, der sich vorwiegend an ältere Menschen wendet, stehen bei einer Privatisierung genügend Interessenten in der Warteschleife. Das Jugendradio „DT 64“ hingegen hat wohl keine Chance mehr. Wegen seiner parteilichen Berichterstattung hat sich der junge Sender vor allem bei CDU-Politikern unbeliebt gemacht. Das Aus ist die Quittung — trotz großer Hörerproteste.

Abgeschaltet wird auch „Radio Aktuell“. Die Entlassenen können sich jetzt beim „Deutschlandsender Kultur“ bewerben. Denn der Klassiksender — dessen Belegschaft vorübergehend beim ZDF unterkommt — wird Teil des nationalen Rundfunks, über dessen Modalitäten sich Bund und Länder noch streiten. Fest steht, daß auch der RIAS 1 dabeisein wird. Probleme gibt es allerdings noch mit RIAS 2. Denn als die Ministerpräsidenten der Länder den neuen Rundfunkstaatsvertrag formulierten, hatten sie die Jugendwelle schlichtwegt übersehen. Gerade haben die Mitarbeiter von RIAS 2 ein Angebot abgelehnt, in Potsdam bei der neuen ARD-Anstalt unter die öffentlich-rechtliche Haube zu kommen. Begründung: Zuwenig Geld. Der brandenburgische Rundfunkrat hatte nämlich keine Westgehälter zugestanden. Eine Privatisierung des Programms wäre vor allem aber für die anderen Privatanbieter eine heikle Angelegenheit, denn der Sender hat die höchsten Einschaltquoten der Stadt.

Noch gibt es Platz im Äther über Berlin. Enger wird es erst, wenn demnächst die Frequenzen der Alliierten frei werden, was noch zwei bis drei Jahre dauern wird. Erst dann werden amerikanische Zustände erwartet: Spartenprogramme nämlich, die sich nur durch die Musikfarbe voneinander unterscheiden. Ein Programm für Ausländer, so der Vorsitzende des für die Frequenzvergabe zuständigen Berliner Kabelrats, Hans Hege, müßte da schon dabei sein.

Noch tut sich auf dem Fernsehmarkt vergleichsweise wenig, um so mehr dafür aber vor den Toren der Stadt in Potsdam-Babelsberg. Auf dem ehemaligen UFA-Gelände, wo Marika Röck, Lilian Harvey und Asta Nielsen ihre großen Auftritte hatten, wo Regisseure wie Fritz Lang und Ernst Lubitsch ihre Karriere begannen, ist ein Medienzentrum geplant. Hier soll auch das Gebäude der neuen Landesrundfunkanstalt Brandenburg entstehen, die bereits ab 1.1.1992 von hier auf Sendung gehen will.

Aber auch die Berliner verfügen mit Adlershof, wo bis zum Jahresende der DFF (vormals „Fernsehen der DDR“) residiert, über demnächst brachliegende Studios, Sendezentren, Redaktionsräume und Verwaltungsgebäude. Ein Komplex, der zudem verkehrstechnisch gut erschlossen ist. Das Problem ist nur, daß die Zukunft von Adlershof vollkommen ungewiß ist. Gegenwärtig sind die neuen Besitzer der Liegenschaft, die fünf neuen Länder plus Berlin, dabei, das Fell des Bären zu zerlegen. Das ist deshalb so schwierig, weil die teure Fernsehtechnik nicht verteilt werden kann. Sie ist nur im ganzen und unverrückbar nutzbar. Mit Blick auf die Zukunft hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, vorsorglich sein Interesse am europäischen Nachrichtenkanal „Euronews“ bekundet. Bereits 1992 soll ein fünfsprachiges Satellitenprogramm ausgestrahlt werden, das 23 Millionen Haushalte erreicht. Und dafür wäre Adlershof als Medienstandort vorzüglich geeignet.

Das alles aber ist bloße Zukunftsmusik. Konkreter ist da schon die Absicht von SAT 1, längerfristig ganz an die Spree zu ziehen. Bereits im neuen Jahr wird nicht nur der Privatsender RTL plus zum Frühstück aus der Hauptstadt senden, sondern auch das ZDF.