Bonn entdeckt die Demokratie im Iran

Um wirtschaftliche Beziehungen mit dem Regime im Iran wieder in Schwung zu bringen, wird plötzlich eine „Liberalisierung“ im Iran verortet und Rafsandschani zum Reformpolitiker erklärt  ■ Von Fahime Farsaie

Die Milliardengeschäfte mit dem Iran laufen hervorragend. Ob es um die Einrichtung einer Pestizid-Anlage in Ghaswin geht — eine Chemiefabrik, die leicht zur Produktion von Nervengas umgerüstet werden kann — oder um die Ausfuhr von 35 Spionage-Flugzeugen vom Typ Do 228, niemand scheint besorgt zu sein. Genausowenig schert sich die deutsche Rüstungs- und die Kernkraftlobby darum, daß die Hände ihrer iranischen Partner mit Blut besudelt sind. Schließlich geht es der deutschen Diplomatie auch nur um die deutsche Wirtschaft. Und jeder weiß, daß nach der deutschen Staatsvernunft nicht die Durchsetzung der elementarsten Menschenrechte im Iran im Vordergrund stehen, sondern der wirtschaftliche Umsatz. Es ist ein moralisches Defizit, daß wirtschaftliche Beziehungen als Alibi benutzt werden, um zu beweisen, daß sich die Situation im Iran geändert habe, daß eine „Liberalisierung“ in den politischen Verhältnissen stattgefunden hat, daß eine „Lockerung“ auf gesellschaftlicher Ebene umgesetzt worden ist.

Wahr ist aber, daß diese „demokratischen Veränderungen“ in unserer Gesellschaft von den deutschen Firmen, die Aufträge in zweistelliger Milliardenhöhe mit dem Iran abgeschlossen haben, nach dem Gespräch zwischen Außenminister Genscher und seinem iranischen Kollegen Welajati „entdeckt“ wurden. In diesem Gespräch wurde außer den wirtschaftlichen Beziehungen auch die „Normalisierung“ der kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern erörtert. Deshalb reiste Ende April eine Bonner Delegation nach Teheran. Führer der Gruppe: der Kulturchef im Auswärtigen Amt, Berthold C. Witte, ein Parteifreund Genschers. Die Ergebnisse der Reise:

— die Zulassung der iranisch-staatlichen Verlage zur 43.Frankfurter Buchmesse — ein Versuch, der dank heftiger Auseinandersetzungen und Proteste gescheitert ist;

— Veranstaltung eines iranischen „Kulturfestivals“ in Düsseldorf — das trotz Proteste und Demos von im Exil lebenden Iranern und oppositionellen Gruppen, aber „dank“ der finanziellen Unterstützung von der Thyssen Handelsunion, der Stadt Düsseldorf und dem Teheraner Ministerium für Islamische Führung im Oktober durchgeführt worden ist;

— die Teilnahme der deutschen Verlage an der Teheraner Buchmesse im nächsten Jahr;

— und die Einrichtung eines iranischen Instituts namens Hafezieh in Düsseldorf, ähnlich dem Goethe-Institut in Teheran.

Durch diese von Deutschen geschaffenen Veränderungen hat sich das Bild vom Iran in den hiesigen Medien auch geändert: Rafsandschani wird als Realpolitiker, der mit Hilfe des Westens die Fundamentalisten mäßigen könnte, dargestellt. In keinem Bericht ist davon die Rede, daß er persönlich für die zwei Hinrichtungswellen, die erst vor zwei Jahren stattgefunden haben, verantwortlich ist. Keine Berichterstattung hat darauf hingewiesen, daß die Familien dieser circa 8.000 Hingerichteten immer noch auf der Suche nach den Gräbern ihrer Angehörigen sind, weil sie immer noch nicht wissen, in welchen Massengräbern sie verscharrt wurden. Sie wissen immer noch nicht, wo sie ihre Blumensträuße hinlegen können. Es gibt keine Meldungen mehr über die politischen Gefangenen, über die Intellektuellen und Kulturschaffenden, die immer noch in Gefängnissen sitzen; unter ihnen zwei Journalistinnen, die nach Angaben von amnesty international über 60 Jahre alt sind: Malekeh Mohamadi und Mariam Firooz.

Genausowenig ist die Rede von kultureller Unterdrückung im Iran:

— Im Oktober dieses Jahres hat ein bekannter Autor und Historiker namens Ali Akbar Saidi Sirjani einen offenen Klage-Brief an Abgeordnete und Medien geschrieben. Der Anlaß: Sieben von ihm bereits veröffentlichte und von der Zensur genehmigte Bücher sind seit Monaten beschlagnahmt. „Was für eine Gefahr haben Sie in meinen Büchern entdeckt, daß Sie sie beschlagnahmt und vernichtet haben?“ fragt der Autor verzweifelt. Statt ihm eine sachlich entsprechende Antwort zu geben, haben ihn die offiziellen Medien angegriffen und ihn „gottlos, Spion, Verräter, ein Knecht von Schahs Schwester Aschraf“ genannt.

— Aus lauter Furcht um ihr Leben muß sich Simine Behbahani, eine bekannte und populäre Dichterin, seit einigen Monaten verstecken. Sie wurde ständig bedroht und verfolgt. Sie wird immer noch in den offiziellen Medien beschimpft, entwürdigt und verleumdet. Sie habe eine große Sünde begangen, meinen die strengen Sittenwächter. Es handelte sich um eine Lesung der Dichterin in der Teheraner Universität. Das Publikum war von ihren Gedichten so sehr beeindruckt, begeistert und verzaubert, daß es mehrere Minuten nach der Lesung stürmisch applaudierte. Auf diesen lebhaften und herzlichen Applaus reagierte die Dichterin mit Küssen, die sie mit der Hand an ihre sie feiernden Studenten schickte. Diese übliche Geste ist aber in der islamischen Republik eine Sünde.

— Vor einer Woche wurde eine monatliche Kulturzeitschrift namens 'Gardoon‘ (Der Himmel) beschlagnahmt. Sie dürfte nicht mehr erscheinen, beschloß die „Staatsanwaltschaft der islamischen Revolution“. Sie habe die „islamischen Moralwerte der Gesellschaft“ gefährdet, lautete das Urteil. Es handelte sich um eine Zeichnung von Parviz Kalantari auf dem Umschlag der Zeitung: eine mit schwarzem Tschador bedeckte, auf dem Boden liegende Frau, über ihr fliegt ein Flugzeug in einen sonnigen klaren Himmel, also nach Westen, ein westlich gekleideter Mann hängt an seinem Flügel. Die Zeichnung bezog sich auf einen Artikel über die Flucht und das Exil. Das war der Anlaß der Angriffe, die von einer staatlichen Einrichtung namens „Kunstabteilung der Organisation der islamischen Propaganda“ geleitet wurde. Zehn dort angestellte Frauen, die sich „Angehörige der Märtyrer“ nannten, haben ein paar Tage nach dem Erscheinen der Zeitung die Redaktion angegriffen und alles zerstört. Der Chefredakteur erstattete bei zuständigen Stellen eine Anzeige gegen sie. Als Antwort bekam er das Urteil der Beschlagnahme seiner Zeitung.

Trotzdem bleiben die Bonner bei ihren Milliardengeschäften. „Weiterentwicklung“ der Beziehungen — sowohl wirtschaftliche als auch kulturelle — wünscht sich immer noch Außenminister Genscher. Nun habe ein anderes Prinzip Vorrang, nämlich der „gedankliche Austausch mit dem Iran“, begründete der Buchmessenleiter Peter Weidhaas den Beginn neuer kultureller Beziehungen mit dem iranischen Regime. Wenn es wirklich um kulturelle Beziehungen geht, warum läßt man dann nicht die erwähnten Kulturschaffenden zu Wort kommen?

Die Autorin ist Schriftstellerin aus dem Iran und lebt in Deutschland im Exil.