Der Konkurrent der Tram heißt Auto

■ 1. Verkehrswerkstatt mit lustloser Diskussion zur Bahnpolitik/ Ist Haase nicht »vernunftbegabt«?

Berlin. »Wieviel Bahnen braucht Berlin?« fragt sich seit geraumer Zeit Verkehrssenator Herwig Haase. Am Samstag erhoffte er sich Hilfe von den Teilnehmern der 1.Berliner Verkehrswerkstatt. Im aufpolierten U-Bahnhof Schlesisches Tor wurde allerdings wenig über die konkrete Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf der Schiene diskutiert. Für Zündstoff sorgte einzig der Leiter der Karlsruher Verkehrsbetriebe, der den eigentlichen Konflikt benannte: die Konkurrenz von Tram und Auto.

Doch zuvor versuchten Haase, sein Staatssekretär Ingo Schmitt und sein Verkehrsplaner Ural Kalender einmal mehr, Straßenbahn und U-Bahn als die eigentlichen Konkurrenten hinzustellen. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß der Unterschied ein rein technischer sei.

Erst Horst Weigelt, Präsident der Bundesbahndirektion Nürnberg, rückte die Verhältnisse wieder zurecht: »Es gibt nur einen Konkurrenten, das Auto.« Das erst macht den Streit deutlich: Haase und seine U-Bahn-Fürsprecher mögen die Straßenbahn nicht, weil sie den Autos im Weg ist. Wie dieses Denken bewertet werden kann, erklärte Eberhard Diepgen bei seiner Eröffnungsansprache: »Kein vernunftbegabter Mensch kann mehr sagen, die autogerechte Stadt sei sinnvoll.«

Daß Straßenbahnen ebenso schnell wie ihre unterirdischen Kolleginnen sein können, zeigte Dieter Ludwig. Er zerstörte das Klischee des Straßenbahnbefürworters als trotzigem Neinsager. Anhand von Beispielen verdeutlichte er, wie eigene Bahnkörper das zügige Vorankommen der Bahn sichern und in die Verkehrsberuhigung integriert werden können. Stolz präsentierte er Vorher-Nachher-Bildfolgen, in denen aus tristen verstopften Straßen ruhige Anliegersträßchen mit breiten Grünstreifen und darin kaum sichtbaren Schienen wurden. »Sehen Sie«, wandte er sich an Haase, »so sieht eine moderne Bahn aus.«

Die Tram könne auch Busse ersetzen, erklärte Ludwig. Das hebe die Attraktivität der öffentlichen Personenbeförderung und drossele das Tempo des Autoverkehrs, der dadurch uninteressanter werde. An die Wand projizierte Fotos von komfortablen Straßenbahnen mit Imbißabteilen dokumentierten das Bestreben Ludwigs, »die Ärmel hochzukrempeln«. Die Bahn sei doch ein Dienstleistungsunternehmen; man brauche »die Autofahrer nicht zu schikanieren, wir müssen nur besser sein«.

Besser als die Staus findet Haase lediglich eine neue S-Bahn-Trasse, die den Tegeler Flughafen an das Bahnnetz anbinden soll. Über Kosten und Finanzierung wurde wenig diskutiert. Zwar wurde von Verwaltungsseite immer wieder die Notwendigkeit zum Sparen ins Feld geführt; in Anbetracht des geplanten Nord-Süd-Tunnels vom Gleisdreieck zum Lehrter Stadtbahnhof und den etwa zehnmal so hohen Kosten beim Bau einer U-Bahn waren dies jedoch wenig überzeugende Argumente gegen die überirdische Bahn.

In Karlsruhe habe allein die Umstellung einiger Busstrecken auf Tram zu einem Fahrgastzuwachs von 30 bis 80 Prozent geführt. »Übrigens, diese Bahnen sind in Berlin gebaut worden«, winkte Ludwig mit dem sprichwörtlichen Gartenzaun, »aber fahren tun sie bei uns.« In diesem Zusammenhang verwies er auf die »weltweite Renaissance der Straßenbahn«. In Städten, in denen Strecken stillgelegt worden seien, beginne man jetzt mit der Reaktivierung. Ungeachtet dessen will Haase an der Stillegung der Tram auf der Friedrichstraße festhalten.

Verkehrsmittel Nummer eins bleibt also das Auto, dessen bloße Erwähnung die Berliner Referenten am Samstag tunlichst vermieden. Genau darüber wollten allerdings die Anwohner der Straßen reden, in denen die Tempo-30-Regelung aufgehoben werden soll. Sie demonstrierten vor dem Eingang zur Verkehrswerkstatt gegen Haases Entscheidung und forderten deren Rücknahme. Christian Arns