Rondo geniale, von Bach bis Piaf

■ Der niederländische Entertainer Hans Liberg spielt »Wurzel Bach live« im BKA-Zelt

Rudi Carell. Margarete Schreinemakers. Lou van Burg. Vergessen Sie alles, was Sie je über holländische Entertainer gedacht oder womöglich gesagt haben! Denn aus dem flachen Land der hübschen Frau Antje kommt heuer ein ganz anderer Kaaskopp, der — gehaltvoller als die besten Niederland- Tomaten, schneller als ein laufleichtes Hollandrad und allemal lyrischer als Hermann van Veen — leicht zu Hollands schlagkräftigster Waffe im Verdrängungskampf des EG-Binnenmarktes werden könnte. Er nennt sich Hans Liberg, ist Doktor der Musikwissenschaft und in seiner flachen Heimat bereits ein herausragendes Kleinkunstphänomen.

Beim diesjährigen Satirefest einem größeren deutschen Publikum bekanntgeworden, zeigt er nun endlich im BKA-Zelt seine höchst eigenwillige Form von »komisch-musikalischem Theater«. Breitet seine Japanflagge aus, rückt den Flügel gerade und streicht noch ein letztes Mal liebevoll über das Cembalo. Vorhang auf! Und es geht los und los und los!

Vom ersten Auftakt an tost er in rasantem Tempo, ohne Punkt, ohne Komma, durch sämtliche musikalischen Teile abendländischer Kulturgeschichte. Generalpausen kommen in seinem Notenrepertoire offensichtlich aus Prinzip nicht vor, bringt er es doch nach eigenen Angaben am Piano (molto! forte) auf stattliche 150 Anschläge. Pro Minute. Entsprechend sportlich gewandet in Trainingsanzug und »Allstar«-Tretern, springt er von Instrument zu Instrument, wie einst Tarzan auf dem Weg zu Jane oder ein agiler »Scratching Meister-DJ« auf dem Weg zu Weltruhm, und gibt uns, fast wie nebenbei, »The best of Classic«.

Dann wieder starr und tief gebeugt kauert der Virtuose vor seinem Flügel — »Marke Müller« —, als müsse er sich die Existenz der schwarzen und weißen Elfenbeintasten erst mühsam vergegenwärtigen. Hier ein bißchen Rachmaninow, da ein bißchen Horowitz. Das angestrengte Ohr wird schnell genügsam, erholt sich schon, wenn mal ein Thema durchgespielt erklingt.

Mit dem gönnerischen Duktus meines alten Klavierlehrers, der mich nach Beendigung der offiziellen Lehrstunde neben das Klavier beorderte und — als Ansporn gewissermaßen — mal eben sämtliche genialen Pianowerke der abendländischen Musikgeschichte anspielte, ruft Liberg, das wohltemperierte Klavier nur schwer übertönend, Namen klingender Geistesgrößen in das Konvolut musikalischer Meisterwerke. Das ist Händel! Bruckner! Claydermann! Musiklehre für Jedermann. Ein Rondo geniale.

Und Libergs musikalischer Jahresvorrat ist weit größer als die gesammelte »World of classic music«. Wahrhaft weltumspannend reicht sie von Kantilene bis Kakophonie (will sagen: von Melodie bis Mißklang!), Bach und Beatles, Tschaikowsky und Edith Piaf. »Who's that girl?« Von hier bis da sind es für Liberg stets nur ein paar Schritte. Wie ein alter Bekannter lugt der »Pink Panther« zwischen Moll und Dur hervor, und — sind »die Tasten dabei auch etwas glitschig von den vielen Cremes« — selbst Partituren von »Helena Rubinstein« kann er zum Klingen bringen.

Hinter dem improvisiert und spontan wirkenden Musikklamauk steckt viel Liebe zum hintergründigen Detail und die unbändige Lust, sich am selbstgefälligen Kunstbetrieb gehörig zu rächen. Auch hier ist Liberg wahrer Könner. Ganz Humanist und Weltenkenner kopiert er diese Hanseln, wo er kann. Plaudert wie sie über vergangene Höhepunkte internationaler Musikgeschichte, als seien Bach und Brahms ihm altvertraute Kegelbrüder. Doch Obacht! Glauben Sie ihm nichts! Des Professors wohlfeile Erklärungen zu Leben und Werk der Herren Beatles, Bruckner und Beethoven sind durchweg erstunken und erlogen, und zwischen Libergs gelehrigem Parlando turnt immer wieder gern das kleine Männlein Schalk über die Tasten. »Der dritte Mann« — ein Frühwerk des Herrn Johann Bach? Und was bitte sind eigentlich Lippizzaner-Cembali? Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich!

Ein Vortrag über Japan, ein Bild von Landsmann Mondrian. — »Catering censeo...«: Wer hat das noch gleich gesagt? Es ist eben ein kulturell distinguierter Abend, den wir da im BKA-Zelt neben der Philharmonie zu sehen bekommen. Es spricht ein Mann von Welt. Mit Stimmodulationen von Kopf bis Kontrabaß und einem koketten Hang zur aktuellen Popmusik. Ein Tänzer zwischen allen Stühlen, ein Meister ohne Fach. Hans Liberg. Nothing compares 2 U! Klaudia Brunst

Wurzel Bach live bis 25.11. (außer 8.11.) Di.-So., 20.30 Uhr im BKA-Zelt an der Philharmonie.