Dialoge von Mensch und Maschine

■ Zwei Abende mit zeitgenössischer Musik in der »Wabe« und im »Theater 89«

Es lebe« hieß die Komposition für Tuba und Tonband von Lutz Glandien, mit der letzten Mittwoch abend in der »Wabe« (Kulturhaus im Ernst-Thälmann-Park) ein Konzert mit elektroakkustischer Musik begann. Veranstalter waren der Komponistenverband Berlin — in dem sich vor allem Ostberliner Tonschöpfer vereinen — und die Akademie der Künste Ost. Im Anschluß an die erste Komposition betätigte Ulrike Liedtke sich als Moderatorin, unterhielt sich mit Glandien und mit Georg Katzer und Ellen Hüningen, den Komponisten der beiden folgenden Stücke. Was da geredet wurde, litt ein wenig an überbesorgtem pädagogischem Eifer — kaum angebracht gegenüber dem fünfzigköpfigen, wohl ohnehin fachkundigen Publikum.

Eine Tonbandkomposition des Titels VERSunkenE LANDSCHAFT von Ellen Hünigen folgte — ein Stück, das die Komponistin selber als Collage bezeichnet und das nur mit konkreten, vorher aufgenommenen Klängen arbeitet. Es dauert vielleicht eine Viertelstunde — Vögel zwitschern, Küchengeräte schaben und surren, zusätzlich werden dann noch musikhistorische Reminiszenzen verbreitet, Chorsätze oder Cellosolostückchen. Auch gesprochen wird dann plötzlich, ein Gedicht soll es wohl sein, aber es verschwindet wieder ins Unverständliche.

Weiter geht's dann mit Katzers Stück Dialog imaginär 3 für Gitarre und Tonband, im Untertitel Stilleben mit Gitarre und Hegel. Dialog wohl, weil das Tonband fast ausschließlich Gitarrenklänge enthält und sich so eben ein imaginärer Dialog zwischen Solist und Tonband einstellt. Die Gitarre spielt ihre Extreme aus, da werden die Saiten schon mal mit dem Bogen gestrichen oder Rhythmen auf den Korpus geklatscht. So ergeben sich ineinander verzahnte Klangbilder, Parallelen oder kontrapunktische Verläufe zwischen Maschine und Mensch. Schade, daß da, aus welchem Grund auch immer, gegen Ende des Stücks der Gitarrist plötzlich ein albernes Hegel-Zitat von sich zu geben hat, das von der Tiefe der Deutschen im Gegensatz zur Einschmeichelei der Franzosen handelt.

Nach einer Pause dann ein Tonbandstück Lothar Voigtländers, das er als Auftragswerk für das diesjährige Renommier-Festival in Bourges komponiert hat. Im Programm steht da zum Titel des Stücks DIALOGUE en cause vermerkt, daß der musikalische Grundgedanke des Stücks im Gegensatz zweier Strukturen, nämlich eines rhythmischen Drives und eines meditativen Moments, bestehe; daß dieser Gegensatz aber nicht aufgelöst, sondern als Zustand »an sich« gezeigt werde. Da kommen dann hübsch und proper zusammengeschnittene Klangfolgen, wohl alle synthetischer Natur, oftmals auch an Orgelklänge erinnernd. Das Ergebnis der Komposition werde nicht wirklich hörbar, steht da als letzter Satz — es solle sich nach dem Hören im Kopf des Rezipienten realisieren. Bei mir hat sich leider nichts im Kopf realisiert.

Den Abschluß bildete das Stück Epilog für Kontrabaß und Tonband von Helmut Zapf. Es bildete den Höhepunkt des Abends, wobei offenblieb, ob der Hauptgrund in der Komposition oder bei dem überragenden Bassisten Christoph Winkel zu finden war. Faszinierend, was für Klänge er seinem Instrument durch unorthodoxe Spielweisen entlockt und mit welcher intensiven Musikalität das geschieht. Das Tonband aber steht dem kaum nach, und der Glücksfall solcher Kompositionen ist wohl in der engen Zusammenarbeit von Komponist und Interpret begründet.

Am folgenden Abend stellte sich ein neues Trio um den Ostberliner Posaunisten Günter Heinz im Theater 89 im JoJo-Club vor. »Alea« nennt es sich in der ungewöhnlichen Besetzung mit Posaune, dem Schlagzeuger Gottfried Röszler und dem Sänger Wilfried Staufenbiel — »Alea« wohl eine Ableitung von »Aleatorik«: Das Trio hat sich neue Musik im Spannungsfeld von Improvisation und Komposition zum Programm gemacht.

Vor leider geringem Publikum begann das Konzert mit der Vertonung eines alten Gedichtes, die Staufenbiel in langgezogenen Gesangsphrasen interpretierte und dazu auf seinem Cello drehleierähnlich Bordunklänge erzeugte. Das Stück von Pousseur war ein Duo für Posaune und Stimme auf einen Text Friedrich Hölderlins. Da passiert leider musikalisch herzlich wenig, außer daß Stimme und Posaune größtenteils unisono melodische Phrasen im nicht besonders phantasiereichen 20.-Jahrhundert-Standard-Stil vortragen — und dann ist das Stück auch schon wieder zu Ende.

Spannender wurde es dann beim folgenden Cage, hatten es sich die Musiker doch zur Aufgabe gemacht, zwei Cage-Stücke simultan aufzuführen. Der Sänger entdeckte Sprach-, Hauch-, und sonstige Stimmgeräusche, Röszler hantierte mit allerlei Percussionsmaterial bis hin zu Plastiksäcken, und Günter Heinz erforscht versteckte Klangwelten beim Auseinander- und Wiederzusammenbauen seiner Posaune, wodurch im gemeinsamen Spiel die sensibelsten Pianissimo-Welten entstehen.

Und da passierte das Erfrischende des Abends: es entfaltete sich eine Musik, die die Ohren plötzlich weit öffnete und sogar die draußen vorbeifahrenden Autos oder Straßenbahnen in musikalische Ereignisse verwandelte. Freilich hatten bis dahin auch die Musiker längst vergessen, daß sie Cage spielen wollten — der Schlagzeugpart hatte mit der Partitur ohnehin wenig gemein — aber gerade das Bemerkenswerte war doch, daß bereits die Programmierung eines Cage, auch wenn die Musik in freie Improvisation abdriftete, genügte, ihr einen anderen Atem einzuhauchen.

Für den Abschluß des Konzertes sorgte noch einmal eigene Musik des Trios. Günter Heinz greift diesmal zur Flöte und bewegt sich im Raum und gibt sich schon mal, im Kegel des einzigen Scheinwerfers stehend, Schattenspielen hin. Gottfried Röszler hingegen steuert Jazzartiges bei, kaum ein Schlag bei ihm, der nicht, selbst im freiesten Klangspiel, Off- Beat-Feeling verriete.

Im ganzen ein spannender Abend durch dieses neue Berliner Trio. Wer Lust auf eine Öffnung der Ohren und ungewöhnliche Klangbilder verspürt, sollte sich die Wiederholung des Konzertes im Hebbel-Theater am 26.November nicht entgehen lassen. Marc Maier