Kleine Anatomie des Witzes

■ »1000 Jahre deutscher Humor« mit Ortrud Beginnen in der Werkstatt des Schiller Theaters

Gerd Bellmann, der Pianist des Abends, betritt als erster die Bühne. Von Anfang an setzt er jene ironisch-folgsame Miene auf, mit der er, um kongeniale Begleitung bemüht, die Direktiven seiner Meisterin empfängt. Der »Herr Dr. Sprengler« — so stellt Ortrud Beginnen ihren Mitspieler vor — sei nämlich eigentlich Theologe und folglich im Klimpern fröhlicher Volksweisen noch ungeübt. So sind die Rollen schnell verteilt: hier der sich ins Böse Fügende, dort die Beginnen — weißgeschminktes Gesicht, schwarzes Jacket, die roten Haare keck zum Seitenzopf gebunden: sie hat nicht nur äußerlich zwei Gesichter. Mal agiert sie parodistisch, clownesk, mal als listiger Teufelsadvokat.

Purer Frohsinn war nicht zu erwarten bei einem Programm mit dem Titel: »1.000 Jahre Deutscher Humor«. Beginnen führt sie alle vor: die Schwänke und Zoten des Mittelalters, die seligen Biertischgesänge wie die Sekretärinnen- und Gynäkologenwitze neuerer Provenienz — und schreckt dabei auch vor gröbsten nicht zurück. Von »Wenn der Apotheker da war, dann nähm' ich Röschens Döschen — nicht in den Mund« bis »Was ist der Unterschied zwischen einer Möwe und einem Neger? Die Möwe hat einen weißen Schwanz« reicht die Palette.

Schnell ist das deutsche Humorwesen als Dreckschleuder voller Sexualmetaphern auf Kalauerebene, Frauenfeindlichkeit und Rassismus entlarvt. Und wäre vollkommen unerträglich, wäre da nicht die gestische und mimische Interpretation der Beginnen. So lebt der Abend aus einer bedrückenden Spannung aus drittklassigem Boulevard mit seiner intellektuellen Verarbeitung. Durch professionelle Übertreibung, groteske Posen und den fast wissenschaftlichen Ton ihrer Zwischenmoderationen gelingt es der Künstlerin, die vollen Breitseiten deutschen Witztums und die ironische Distanzierung davon zugleich auf die Bühne zu bringen.

Dem Publikum gefällt's, weiß man sich doch einig mit der Entlarvung der durchschnittlichen Dummheit. Auch daß einige Wissenspartikel für Bildungsbürger eingestreut werden, ist ein schönes Identifikationsangebot. Besonders gelungen ist die Parodie auf die moderne Gedächtnislosigkeit: Da will einer einen Witz erzählen und hat die Hälfte vergessen. Kommt eine Frau zum Arzt, schüchtern — na, wie geht er denn noch, also Bluse aus, Höschen aus —, wo sie doch nur ein Rezept für ihren Mann wollte. Durch die Reduktion auf die Grundelemente gelingt der Beginnen eine kleine Anatomie des Durchschnittswitzes.

Im Laufe des Abends verwirren sich die scheinbar so klaren Fronten — es ist gar nicht mehr so klar, was hier bedacht wird: die Leistung der Künstlerin oder der Inhalt der so offensichtlich inkriminierten Witze. Das aber entspricht durchaus dem Kalkül des Programms: Eben hat Ortrud Beginnen die Vergnügungssucht des Publikums mit einigen Chansons und einer Hans-Albert-Parodie so richtig schön bedient, da beginnt sie gegen das Einverständnis zwischen Saal und Bühne zu arbeiten. Ihr Ausdruck wird strenger, die Witze werden gröber, und die ganze Veranstaltung wird zum mephistophelischen Spiel.

Zum Spiel mit dem Publikum, das drei Zugaben zu erklatschen meint, die in Wirklichkeit doch genau eingeplant sind. Und das vor lauter Selbstbesoffenheit gar nicht mehr weiß, ob es noch mehr künstlerische Leistung oder noch mehr humoristischen Mist will. Die Beginnen aber befreit sich aus dem Image eines links-liberal- bürgerlichen Idols durch eine letzte, dermaßen derbe Zote, bei der dann endlich keiner mehr klatschen will: von Polen, deren Mülltonnen und schwangeren Hunden.

Spot aus, Licht an — »Das war doch nun wirklich nicht nötig«. »Geschmacklos«, war an der Garderobe zu hören, an der die Überzieher hängen. Bernd Gammlin

Das Programm wird am 30. und 31. Dezember um 20 Uhr in der Werkstatt des Schiller Theaters wiederholt.