Glatte Ästhetik statt Reibung

■ Der »Scheinbar-Montag« im Quartier: durchgeplant und schick, mit wenig Selbstironie

Der Türkenimbiß neben dem Elektronikkaufhaus, Szenekneipen, Verlage, Zeitungshäuser, Prostituierte, Beamte und die BVG — dieses bunte Durcheinander fand man bisher nur auf der Potsdamer Straße. Jetzt — Vereinigung sei Dank — sollen einige Farben aus der Gegend verschwinden, die Potse mit ihrer Führung nach Berlin-Mitte und dem Potsdamer Platz wieder renommierlich werden. Und somit dann auch langweilig, denn wo keine Reibung ist, erstickt das Lebendige, das Spannende und Kreative. In der Potsdamer Straße steht auch das »Quartier«. Äußerlich vor einiger Zeit zum Edelplüschpuff mutiert, bot jedoch gerade der »Blaue Montag« von den Drei Tornados einen witzigen Antagonismus: zwischen Tischtelefonen, Schummerbeleuchtung und befrackten Kellnern durfte jeder auf die Bühne, der glaubte, etwas präsentieren zu können. Neben gekonnten Darbietungen dilettierte so manch einer vor sich hin — und prompt war die Reibung da, innerhalb des Programms, aber auch zwischen durchgestyltem Interieur und den weniger perfekten Nummern. Die Erwartung einiger weniger mag sich zwar nicht erfüllt haben, aber insgesamt bot das Programm eine erfrischende Abwechslung zum professionellen Bühnengeschehen.

Die »Scheinbar« hat den Montag vor ein paar Monaten übernommen und einiges am Konzept geändert. Zwar gibt es immer noch jede Woche ein neues Programm, aber durchgeplanter und schicker als früher. Statt Reibung beherrschen hier fast überall Präzision und Ästhetik das Bühnengeschehen, und das läßt einen nach einer Weile etwas müde in die roten Sessel sinken.

Besonders in der ersten Hälfte dominierten Handwerk und Ästhetik: Das »Duo Inflagranti« jonglierte gekonnt zu einer eigenen Tanzchoreographie, und das obwohl sich die beiden, wenn man den Worten des Conférenciers Glauben schenken darf, erst vier Wochen vorher kennengelernt haben. Ein Amateursportradler rapte auf seinem Zweirad, ein clownsgesichtiger Pantomime erzählte lautlose, groteske Geschichten mit Luftballons und einer Puppe, die ihn fortwährend boxt, und die farbige Sängerin Desney röhrte ihre Version des Summertime Blues. Raoul Gonzales durfte moderieren, er mimte den Schmierlapp, was ihm, fast, gelang. Bei der Ankündigung der »Zwei Farellos« von der Staatlichen Artistikschule aus Ost-Berlin blieb auch ihm fast die Spucke weg: Die beiden höchstens 16jährigen Kids turnten so perfekt auf ihren Einrädern herum — Treppe hoch, Trampolin runter — und bestachen durch allerknappste Kostüme und professionelles Arschwackeln, daß ihnen die große Zirkuskarriere gewiß ist.

Aber warum muß das meiste so bierernst vorgetragen werden? Traditionelles Varieté hat sich überlebt: Es genügt nicht mehr, nur »Ah«- und »Oh«-Laute zu provozieren. Mehr Selbstironie und Mut zum Fehlerhaften — und ein Programm mit diesen Künstlern könnte spannender und vor allem sinnlicher sein. Einzige Ausnahme vor der Pause: Jonathan aus New York mit seinem Pizzarap. Der etwas beleibte Ami im schmierigen T-Shirt hackte absurde Textzeilen von Macho-Italienern mit riesigen Penissen, ihren Pizzas, mal gut, mal ungenießbar, und den fremdenfeindlichen Deutschen herunter, rollte dazu einen Pizzateig aus und blies zuweilen in eine Tuba. Eine wundervolle groteske Nummer, hemmungslos, vielleicht von einer New Yorker Straße geklaubt. Mehr davon!

Das Publikum reagierte weniger begeistert und bekam dann nach der Pause wieder, was es wollte: Feuerjonglagen, einen Tango und einen Entertainer. Immerhin durfte die »Nachtigall von Ramersdorf« ein abgewracktes Smoke gets in your eyes knödeln und die hauseigene Band beleidigen, und Desney sang noch einmal einen Song.

Die einzelnen Nummern für sich sind allemal sehenswert, doch die richtige Mischung war zumindest letzten Montag nicht gegeben. Reibung heißt das Zauberwort für Bühnenkunst (und speziell für Varieté), und die hat kaum stattgefunden — ein schönes, glattes Produkt, das die Sinne nicht betört, ist dabei herausgekommen. Aber ein Montag ist noch kein Montag, die »Scheinbar« zeigt sich erst verhältnismäßig kurz auf einer derart großen Bühne, und das vorhandene künstlerische Potential läßt auf spannungsvolle Abende in der Potsdamer Straße hoffen. Anja Poschen

Jeden Montag 21 Uhr im »Quartier«, Potsdamer Str. 96, 1/30