Spaniens Polizei soll mehr Rechte erhalten

Madrid (taz) — Mehrere tausend Menschen marschierten gestern durch das Stadtzentrum Madrids, um gegen eine neue Gesetzesvorlage zur inneren Sicherheit zu protestieren, die vom Innenminister Jose Corcuera ausgearbeitet worden ist und am kommenden Donnerstag im Parlament beraten wird. Empörung und ungute Erinnerungen an die Franco- Zeit lösen vor allem zwei Artikel des neuen Gesetzes aus. Artikel 20 verpflichtet die Bürger, ständig einen Personalausweis mit sich zu führen, anderenfalls sie zur Überprüfung ihrer Identität auf die Polizeiwache abgeschleppt werden können.

Ständig mit Kontrollen rechnen zu müssen, erinnert viele Spanier an die unguten Methoden der Guardia Civil während des Frankismus. Darüber hinaus ist ungeklärt, ob die auf die Wache gebrachten Bürger festgenommen sind und insofern Recht auf einen Anwalt haben. Noch mehr Wut löst jedoch Artikel 21 aus. Er ermächtigt die Polizei, ohne Hausdurchsuchungsbefehl in eine Wohnung einzudringen, wenn die Täter in flagranti ertappt würden. Dabei wird ausdrücklich der Drogenhandel mit erwähnt.

Spaniens bekanntester, weil mutigster Richter Baltasar Garzon erklärte, für einen Tatbestand „in flagranti“ reiche die pure Vermutung, in der Wohnung würden Straftaten begangen, nicht aus. Er bezeichnete mehrere Artikel des Gesetzesentwurfs als „juristische Verirrungen“. Das neue Hausdurchsuchungsgesetz wird bereits jetzt als „Fußtritt-in-die- Tür-Gesetz“ bezeichnet. Mehr als 100 Gruppen und Kollektive haben sich zu einer „Plattform für die Freiheiten“ zusammengeschlossen, die zu der gestrigen Demo aufrief. An der Spitze der Demonstration liefen der Schriftststeller Antonio Gala und der Philosoph Fernando Savater, auch der Filmemacher Pedro Almodovar hatte sich eingefunden. Unterstützung gegen das Gesetz kam jedoch auch vom ehemaligen Parlamentspräsidenten und heutigen Universitätsrektor Gregorio Peces- Barba, der das Gesetz als „verfassungswidrig“ bezeichnete, vom Altphilosophen Jose Luis Aranguren und vom Schriftsteller und Krimiautor Vazquez Montalban. Selbst einige Mitglieder der konservativen „Volkspartei“ hatten ihre Absicht angekündigt, gegen das Gesetz auf die Straße zu gehen.

Die starke Ablehnung gegen eine Erweiterung der Vollmachten für die Polizei ist nicht nur im starken Individualismus der Spanier und in der unangenehmen Erinnerung an Polizeiwillkür in der Franco-Zeit begründet. Die sozialistische Regierung hat nach ihrem Machtantritt 1982 die alte Polizei mit übernommen. Doch „anstatt die anstehende Aufgabe anzugehen, die Polizei zu demokratisieren — etwas so Grundsätzliches, das während der Übergangszeit zur Demokratie unterlassen wurde — zieht es (der Innenminister, d. Red.) vor, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er der Polizei eine größere Autonomie gegenüber den Richtern zugesteht, auch wenn er dafür Grundrechte der Spanier beschneiden muß“, beklagt sich in 'El Pais‘ Ignacio Sotelo, Professor für Politik an der FU Berlin und Mitglied des linken Flügels der spanischen Sozialistischen Partei. Antje Bauer