Golf oder aber Kongo

■ Hansgünther Heymes letzte Regiearbeit in Essen: „King Kongo“ von Gaston Salvatore uraufgeführt

„Berlin 1886. Deutschland hat es geschafft. Das Reich ist auf dem besten Weg, zur führenden Wirtschaftsmacht des Kontinents zu werden; unter dem Vorsitz Bismarcks wird auf der Berliner Afrikakonferenz der 'dunkle Kontinent' aufgeteilt. Vor allem geht es um das Kongogebiet, das der Entdecker Henry Morton Stanley im Dienst des belgischen Königs Leopold II. erschlossen hat.

Vom Hinterhof aus betrachtet nimmt sich die 'Weltpolitik' ganz anders aus. Arbeiter, Dienstboten, Lumpenproletarier leben unter kaum vorstellbaren Bedingungen. Dazu kommt eine Einwanderungswelle aus dem Osten, vor allem aus Polen: Wohnungsnot, Kriminalität, Fremdenhaß...“

Alles klar. Was die Dramaturgie des Essener Theaters als Inhalt angibt, ist das, was Hansgünther Heyme, noch Leiter des Essener, bald des Bremer Theaters, in Auftrag gab: ein Stück über die deutsche Einheit von 1870/71 zur deutschen Einheit von 1990. Letztere wollte die Linke, soweit sie durch die „Achtundsechziger“ geprägt war, nicht. Der Auftrag des 68ers Heyme an den Dutschkefreund Gaston Salvatore meinte, was die zitierte Dramaturgie gesehen hat: Deutsches Reich, deutsche Industrie, deutsches Volk, der Kongo ist der Golf. Wer außen Blut für Öl finanziert, der innen Fremdenhaß praktiziert.

So weit, so platt, so falsch. Nur, dieses Stück hat Gaston Salvatore nicht geschrieben. Nicht das deutsche Kapital und sein „ehrlicher Makler“ Bismark sind die Agenten des Unheils in „King Kongo“, sondern lauter 'ausländische' Underdogs, die ihr Heil versuchen: der geadelte Bankier Bleichröder, ein Jude, fädelt für den skandalbemunkelten belgischen König Leopold (über den Engländer Stanley, selber aus „dunkler, übler Gasse“ kommend) den Deal mit der schönen Dora, einem Dienstmädchen, ein. Die tut es für Willy, einen „Wasserpolacken“, der sich mit der Ausbeutung anderer Polen über Wasser hält, und das Opfer akzeptiert, weil er mit ihr in den Kongo will.

Gaston Salvatore will nicht die Geschichte des Kapitals, sondern die von Willy Tam erzählen, als Vaudeville, als volkstümliche Revue der Entrechteten, Ausge

Mit entlarvungsgewohntem Zugriff: Anprangern, was niemand gesagt hatFoto: Schauspiel Essen

beuteten und Verfolgten, die versuchen, ihren Beschädigungen durch Reichtum zu entkommen. Für Geld übt jeder gegen jeden Gewalt aus, die Kongomassaker sind nur ihr Ausdruck.

Mit seinem „Stalin“stück hat Salvatore damals meisterhaft die Dialektik von seelischem und gesellschaftlichem Zwangssystem auf die Bühne gebracht. In „King Kongo“ geht ein ähnlicher Versuch mit Gesang und Tanz und Chor, mit Anklängen von Dreigroschenoper bis zu Zadeks Prolo-Revue „Andi“, daneben.

hierhin bitte das

Theaterfoto

(rechts einer,

links viele)

Das liegt schon am Stück. Das Drehen der Kritikrichtung, weg vom mottenzerfressenen Anti- Imperialismus, gibt dem Ganzen

etwas Gedrehtes, Diffuses. Man hört immer anprangern, was niemand gesagt hat. Was auf den Golfkrieg anzuspielen schien, tut es genauso zwanglos auf Auschwitz. Was das mit der Gründung eines deutschen Staates zu tun haben soll, wird suggeriert, zu begreifen ist es nicht. Das Stück atmet eine diffuse Unwiderlegbarkeit, seine Figuren atmen dafür gar nicht.

Der entlarvungsgewöhnte Zugriff der Heymeschen Regie hat das verschärft. Ein Beispiel für viele: Im Text, nachlesbar im vorzüglichen Programmheft, hat der Gesang des Stanley von der „dunklen, trüben Gasse“ durchaus einen traurigen Balladenton, der an zwittrige Songs aus der Dreigroschenoper erinnert. Wenn Heyme den Stanley dann aber zum Singen auf die Bühnenpalme schickt, entlarvt er ihn als sentimentalen Kitscher.

Es gibt eine Ausnahme. Das ist, als der reiche Jude (Andreas Keller) singt, mal jiddisch, mal deutsch, daß er die schöne Dora genau so opfert, wie die Gojim den verfolgten Juden opfern. Der Spieler darf einen Moment ein rührender Mensch sein, ehe die kritische Moral des Regisseurs ihn erledigt. Uta Stolle