Bussi, Bussi von der Latrine

■ Jockel Tschiersch mit einem alten Stück auf ausgelatschten Pfaden: Das »Aphrodite-Projekt« bei den »Wühlmäusen«

Es beginnt damit, daß es nicht beginnt. Denn der, der eigentlich auf der Bühne stehen sollte, steht da nicht. Geht da nicht. Spielt da nicht. Er kommt — welch' originelle und zudem so tief demokratische Idee — wie wir alle durchs Foyer. Erklimmt, kaum auf den Brettern, die die Welt bedeuten, halbnackt die Latrine und wird heftig. Das ist Theater. Das ist Pathos. Klarheit gleich in der ersten Sekunde. Hose runter, denn hier sitzt das Establishment.

Zugegeben, ganz so ernst nimmt Jockel Tschiersch sein Opening dann selbst nicht. Entlarvt es als die Rolle in der Rolle. Als dummen Regieeinfall eines dummen Regisseurs. In einem anderen Theater, einem anderen Stück. Shakespeares Othello. Denn da ist dieser kackende Held von trauriger Gestalt einst der »Jago« gewesen. Hatte sein Auskommen, aber keine große Lust, Abend für Abend in die Latrine zu scheißen. Und gerät so, einmal vom fäkalen Pfad der subventionierten Theatertugend abgewichen, in zwielichtige Kreise. Filmkreise. Auf diese schlichte Weise nimmt das wahre Drama Leben seinen unabänderlichen Lauf.

Denn da war doch »der Hans- Heinz Bratz in der Kneipe. Sie wissen schon der Bratz, der große Bratz«. Und der hat dem kleinen Ralf Bentgen, noch Jago in Shakespeares Othello, von diesem Aphrodite-Projekt erzählt. Ein Film auf Zypern. Mit allen, die der deutsche Avantgarde-Film so zu bieten hat. Mit Hartwig von Seelmann, den sie innig Wicke nennen. Mit dem Hansi Fuchs, der schon den großen Fassbinder kannte und — Oh Göttin! — mit der vollbusigen Nina Boressi. Da ist das Bentele dann rasch entflammt. Schmeißt den Jago, der ihm eh nicht so recht liegt. Setzt alles auf die eine Karte, sich in den Flieger und ab nach Zypern. Endlich unter Freunden. Endlich dabei sein. Endlich frei sein.

Jockel Tschiersch ist nicht die »Aphrodite« — wer hätte das gedacht! —, sondern das arme Schweinderl Bentgen. Aus dessen Sicht erzählt er die Ereignisse der zurückliegenden drei turbulenten Drehmonate. In direkter und indirekter Rede. In allen Rollen, allen Lebenslagen führt er sie alle vor. Das junge Genie mit dem berühmten Vater. Den koksenden Wicke, den bayerischen Lackaffen in Produzentengestalt. Rechnet — hört, hört! — gehörig ab mit diesem Schickimicki- Haufen Schwabing, in dessen Mitte der »Bussi« immer noch inflationiert und es im August so oft schneit. Zieht sich zurück auf den Standpunkt des Außenseiters, ist die arme Randfigur, die gerne mittäte, aber nicht so recht mithalten kann. Rächt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, und vorneweg mit der Waffe des Dialekts. Der Autor - natürlich ein Berliner, wah! Der Produzent: Aus München. Bussi! Das Scriptgirl lispelt und kommt aus dem ahnungslosen Osten, der Regisseur ist verschlagen und aus Österreich.

Wenn das keine beißende Kritik am elitären Kunstgeschäft ist. So stellt sich Lieschen Müller das Filmemachen sicher vor. Viel Sex, viel Weib. Viel Feind, viel Ehr. Natürlich geht in Zypern letztlich alles schief. Eine »abgetrennte Männlichkeit aus Pappmaché« fällt nicht, wie sie soll. Poseidon mit der Panflöte im Arsch kriegt keinen hoch, und soll doch »in die dritte Reihe wichsen«. Der Wicke bumst die Nina, die Nina bumst den Bratz und dann bumst der Bratz noch den Hansi Fischer. So ist das eben beim Film. »Künstler!« denkt sich Lieschen Müller. Schade nur, daß klein Bentele nie einen abkriegt (und deshalb wohl auch keinen mehr hochkriegt). Irgendwie ist er immer der Gearschte. Als die Susi aus dem fernen Osten endlich die Faxen dicke hat, wird aus dem Poseidon bald das Scriptgirl. Aus dem Filmteam ein armes Häuflein Elend und aus der Aphrodite bis auf weiteres nix mehr. Da reisen sie dann alle ab, nur der Bentgen läßt sich schon wieder linken und zu allem Überfluß mit dem Koks der anderen erwischen. Jago weg, Geld weg, Nina weg! So was kommt von so was her.

Nun wissen wir endlich, daß Tschiersch ein guter Schauspieler ist und einen therapiewürdigen Haß auf die (nicht mehr neue) deutsche Filmbranche hat. »Grenzenlose Selbstdarstellung« raunt es aus dem Publikum. »Was daran wohl so komisch ist?« Der Applaus ist müde und die Geschichte einfach allzu bekannt. Allzu klischeehaft und allzu alt. Da haben wir vor fünf Jahren bei Kir Royal allemal mehr gelacht. Bussi! Klaudia Brunst

Bis zum 2.2.92 jeden Sonntag um 20.30 Uhr bei den »Wühlmäusen«, Nürnberger Straße 33