Innen- und Außenpolitik der EG bleibt strittig

Niederländer legen einen neuen Entwurf für die Politische Union Europas vor/ Außenminister suchen nach Kompromissen vor dem Gipfel in Maastrich in vier Wochen/ Briten blocken fast alles ab/ Gesonderte Regelung für Euro-Armee angeregt  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

„Jetzt geht es um die Wurst.“ Die Überstunden im Ringkampf der EG- Giganten um die angestrebte Wirtschafts- und Währungsunion einschließlich politischer Union stehen den Eurokraten ins Gesicht geschrieben. In der Tat: Nach dem deutsch- britischen Gipfel in Bonn am Sonntag debattieren seit gestern die EG- Finanzminister in Brüssel. Parallel dazu wollen auch die zwölf Außenminister während einer Klausurtagung im niederländischen Noordwijk heute und morgen, versuchen, die bestehenden, nicht unerheblichen Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr: In vier Wochen sollen die Staats- und Regierungschefs der EG in Maastricht ihre Unterschrift unter das Reformwerk setzen.

Um den Einigungsprozeß zu beschleunigen, hat die niederländische EG-Präsidentschaft erneut mehrere Vorlagen erarbeiten lassen. Neben einem Vertragsentwurf für die Wirtschafts- und Währungsunion, der bereits letzte Woche bekannt wurde, liegt den Ministern nun auch noch eine dritte Fassung des Abkommens über die politische Union vor. Die letzte Vorlage der Holländer war von zehn der zwölf EG-Regierungen als zu radikal abgelehnt worden. Unter anderem hatte der Vorschlag eine stärkere Rolle für das Europaparlament vorgesehen. Statt dessen forderten die Minister, daß der Vorschlag, der bereits unter der vorhergehenden EG-Präsidentschaft der Luxemburger Regierung erarbeitet worden war, wieder zur Grundlage der Verhandlungen gemacht werde. Die holländische Regierung, so heißt es, habe sich die Kritik ihrer Kollegen zu Herzen genommen und nun ein Kompromißpapier vorlegt.

Danach soll die EG in Zukunft eine stärkere Rolle zumindest in den Bereichen spielen, in denen sie bereits aktiv ist. Dazu gehören Erziehung, Gesundheit, Kultur, Industrie, Tourismus, Konsumentenschutz, Energie, Umwelt und soziale Angelegenheiten. Außerdem will die niederländische Regierung der EG das Recht übertragen, Visa für kurzfristige Besucher aus Drittländern zu erteilen. In einer gesonderten Erklärung wird aber angeregt, bis Ende 1993 doch zu einer gemeinsamen Innen- und Justizpolitik zu kommen, in der dann auch mit Mehrheit entschieden werden soll. Vor allem die Punkte zur Sozial- und Einreisepolitik werden vom britischen Premierminister John Major kategorisch abgelehnt. Dies machte er bei seinem Besuch in Bonn deutlich. Innen- und Sozialpolitik, insbesondere Einwanderungs- und Asylpolitik müsse Sache der nationalen Regierungen bleiben, erklärte er dem Bundeskanzler.

Auch bei seinem Lieblingsthema holte sich Kohl bei Major erneut eine Abfuhr: Eine Demokratisierung der EG durch die Stärkung des Europaparlaments und eine Ausweitung des Mehrheitsstimmrechts im EG-Ministerrat seien ebenso unakzeptabel wie die Aufnahme föderaler Ziele in das Vertragswerk. Ähnlich brüsk verfuhr Major mit der Kohl-Mitterrand-Initiative für eine eigenständige europäische Streitmacht. Für diese Fragen versucht der neue niederländische Vorschlag Kompromisse zu finden. Eine gemeinsame Außenpolitik soll es auch weiterhin nur bei einstimmigen Beschlüssen geben. Ob die Koordination der Kommission übertragen wird oder wie bislang außerhalb der EG im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) stattfinden soll, lassen die Niederländer offen.

Die Frage des zukünftigen Verhältnisses zwischen der EG, der Westeuropäischen Union (WEU) und der Nato will die niederländische EG-Präsidentschaft aus dem eigentlichen Vertragswerk heraushalten und in einer separaten Erklärung behandeln. Die französische Regierung blockiert allerdings den Versuch, die Entscheidung über eine europäische Streitmacht auf diesem Wege zu verschieben. Ein „Maastricht II“ im kommenden Jahr scheint dennoch immer wahrscheinlicher, zumal die Bundesregierung — noch — an ihrer Drohung festhält, den Vertrag über die ebenfalls umstrittene Wirtschafts- und Währungsunion nicht zu unterschreiben, solange keine „wirklichen Fortschritte“ bei der politischen Union erreicht sind.