Rechter Vormarsch in Wien

■ Bei Kommunalwahlen in der österreichischen Hauptstadt verzeichnete die FPÖ starke Zugewinne/ Konservative und Sozialdemokraten erlitten Verluste/ Grün-Alternative erstmals vertreten

Berlin (taz) — „Wir sind am Punkt Null angelangt“, stellte Erhard Busek am Sonntagabend in Wien lakonisch fest, als er das Ergebnis der Kommunalwahlen erfuhr. Seine konservative österreichische Volkspartei (ÖVP) hatte gerade eine schwere Niederlage erlitten und war auf den dritten Platz abgesackt. Zweite Kraft in Österreichs Hauptstadt und zugleich bevölkerungsreichstem Bundesland wurde erstmals die radikal rechte Freiheitliche Partei (FPÖ) Jörg Haiders. Die Partei mit den ausländerfeindlichen und antisemitischen Parolen hat damit den dritten spektakulären Wahlgewinn binnen drei Monaten errungen.

Eine historische Schlappe bei den Wahlen zum Gemeinderat, der zugleich Landtag ist, erlitt auch die Sozialdemokratische Partei (SPÖ). Mit 47,7 Prozent blieb sie zwar stärkste Partei, verlor aber ausgerechnet in ihrer traditionellen Hochburg 7 Prozent der Stimmen. In der neuen Legislaturperiode wird sie mit 52 Sitzen ihre absolute Mehrheit knapp halten. Die ÖVP büßte mehr als 10 Prozent ein und erhielt 18,1 Prozent der Stimmen (18 Mandate). Die FPÖ hingegen konnte ihr Ergebnis von 1987 beinahe verdreifachen. Sie erhielt 22,6 Prozent (23 Mandate). Große Gewinne machten auch die Grün-Alternativen (GA), sie erhielten 9,1 Prozent (7 Mandate) und werden damit erstmals im Wiener Gemeinderat vertreten sein.

Insgesamt 1,1 Millionen Wahlberechtigte waren zu den Urnen gerufen. Nur rund 64 Prozent von ihnen kamen. Gegenüber den Wahlen von 1987 ist damit die Zahl der Nichtwähler nur geringfügig gestiegen. Erhebliche Verschiebungen hat es jedoch zwischen den Parteien gegeben, wie erste Wahlanalysen zeigen. So verlor die SPÖ 70.000 Wähler — davon wanderten 40.000 zur FPÖ, 30.000 blieben am Sonntag zuhause. Die ÖVP mußte ebenfalls 70.000 Wähler abgeben — 23.000 davon an die Grün-Alternativen und 20.000 an die FPÖ, der Rest blieb zuhause.

Haider bezeichnete seinen Wahlsieg in Wien als „historisch“. Unter den telefonischen Gratulanten am Sonntag abend war auch der Chef der Bonner Partnerpartei FDP, Otto Graf Lambsdorff. Der radikal rechte Haider hatte noch im Frühsommer dieses Jahres mit seinem Lob auf die NS-Beschäftigungspolitik Aufsehen erregt. Haiders Partei hatte die um ein Jahr vorgezogenen Wahlen beantragt. Begründet hatte sie ihren Vorstoß mit einer Reihe „ungelöster Probleme“, darunter auch mit dem Anteil ausländischer Kinder an öffentlichen Schulen. Im Wahlkampf hatte Haider sich für einen Einwanderungsstopp eingesetzt. Er selbst behauptete trotz seiner xenophoben Stimmungsmache, seine Politik sei nicht ausländerfeindlich, sondern „inländerfreundlich“.

Die Themen Ausländer und Antisemitismus hatten auch den Wahlkampf der beiden anderen großen Parteien beherrscht. Die ÖVP plakatierte unter anderem: „Nicht noch mehr Ausländer.“ Der sozialdemokratische Bürgermeister Helmut Zilk war so weit gegangen, ein in der Wahlkampfzeit angesetztes Antisemitismus-Symposion des „American Jewish Committee“ abzusagen.

Der Spitzenkandidat der Grünen, der Abgeordnete im Bundesparlament Peter Pilz, kritisierte die Ausländerpolitik von ÖVP und SPÖ. Beide Parteien seien zur Erfolglosigkeit verdammt, wenn sie versuchten, mit ihrem neuen, gemäßigt-restriktiven Kurs gegen Einwanderer die „schlechteren Haiders“ zu sein. Die liberalen Anhänger beider Parteien hätten das bemerkt, und viele hätten ihre Stimme den Grünen gegeben, die sich jeglichen Beschränkungen widersetzten.

In Wien stellt sich jetzt die Frage nach den Auswirkungen der Wahl auf die Bundespolitik. In der ÖVP dürfte die Fraktion Aufwind bekommen, die ein Aufkündigen der angeschlagenen Großen Koalition mit den Sozialdemokraten fordert. Selbstverständlich spürt die FPÖ ihre große Stunde jetzt auch auf nationaler Ebene nahen: Gestern sprach sich Haider bereits für vorgezogene Neuwahlen zum Bundesparlament aus. Nach der „empfindlichen Abfuhr für die Große Koalition“ bei der Gemeinderatswahl sollten „die Karten neu gemischt werden“, sagte der Rechtsaußen siegesgewiß. Dorothea Hahn