Mit Möhren gegen Dreck und Abfall

Die brasilianische Stadt Curitiba kämpft mit Umweltpolitik gegen Müllberge und Armut — und hat Erfolg  ■ Aus Curitiba Astrid Prange

Daß sich mit Umweltschutz Geld verdienen läßt, hat sich inzwischen auch in Brasilien herumgesprochen. In Curitiba, der Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Paraná, sind die wachsenden Müllberge kein Problem, sondern eine Quelle des Reichtums. Die 1,6 Millionen Curitibaner schmeißen ihren Abfall nicht einfach unbesehen in die Mülltonne, sondern sortieren die wiederverwertbaren Bestandteile aus. Das Recycling- Fieber hat bereits andere brasilianische Städte angesteckt.

Die erfolgreichen Müllgeschäfte begannen im Februar 1989 im Elendsviertel „Vila Esperanca“. Der frischgewählte Bürgermeister Curitibas, Architekt Jaime Lerner, hatte an die Bevölkerung appelliert, doch den Abfall selber einzusammeln, da die städtische Müllabfuhr zu dem Viertel keinen Zugang habe. Jeder Müllsack, bot er dafür an, könne gegen einen Busfahrschein eingetauscht werden. Die Botschaft kam an: Innerhalb von zwei Jahren verwandelten sich die rund 50 Favelas, die Elendsviertel, in denen 100.000 Curitibas leben, in blitzblanke Siedlungen. Kinderkrankheiten und die Grundwasserverschmutzung gingen deutlich zurück. Die Idee von Lerners japanischem Umweltsekretär Hiroshi Nakamura fand weitere Anhänger. In Santa Rita im Norden Brasiliens etwa, kann jede Mülltüte bei der Stadtverwaltung gegen ein Pfund Brot eingetauscht werden.

Seit kurzem dürfen Curitibas eifrige Müllsammler, zumeist Kinder, zwischen Busfahrscheinen und einer Portion Gemüse wählen. Die Stadt nutzte den Ernteüberschuß und kaufte den Bauern ihre Erzeugnisse zu Spottpreisen ab. „Im Kopf eines Mindestlohnverdieners bewirkt dies Wunder“, begeistert sich Umweltamts-Mitarbeiter Joao Bunn, er bemerkt, das man in einem Land wie Brasilien keine Lebensmittel wegschmeißen darf. Daß dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt eine Untersuchung der städtischen Müllabfuhr in Rio de Janeiro, wo die Abfalltrennung noch in den Kinderschuhen steckt: 41 Prozent des eingesammelten Abfalls an der Copacabana sind Essensreste. In den ärmeren Stadtteilen liegt der Anteil sogar noch darüber. „Die Brasilianer kaufen kaum fertige Lebensmittel, sondern schälen nach wie vor ihren Reis zu Hause“, erklärte Ingenieur Alvaro Luiz Cantanhede das Untersuchungsergebnis, ausgerechnet die ärmere Bevölkerung hege starke Vorurteile gegenüber der Wiederverwertung von Essensresten.

Der erfolgreiche Tausch von Müll gegen Möhren ermunterte Curitibas Bürgermeister, noch einen Schritt weiterzugehen. Er startete die Aktion „O lixo, que nao é lixo“ — Müll, der kein Müll ist. „An Vorschlägen von der Müllobby, für die es in Brasilien immer Geld gibt, mangelte es nicht“, sagt Lerner. „Die Leute laden wahllos alles ein und wenden hinterher eine Heidenenergie auf, um den Müll wieder zu trennen. Wieso kann nicht jeder zu Hause seinen Abfall sortieren?“ Beim Ausmisten wird jetzt der wiederverwertbare Müll vom organischen Abfall getrennt. Die mit Papier, Plastik, Glas, Metall und Batterien gefüllten Mülltüten werden wöchentlich abgeholt. Die weitere Sortierarbeit übernehmen dann die Bewohner eines Obdachlosenheimes. An einem Fließband trennen sie, was als Rohstoff wieder an die Industrie verkauft werden kann. Von dem Erlös werden weitere Müll-Anlagen und die neuen Müllmänner bezahlt. Die neue Beschäftigung hat viele Favela-Bewohner in „Helden der Umwelt“ verwandelt. 90 Prozent der Bevölkerung unterstützen das Programm. Die tägliche Müllmenge von 700 Tonnen wurde um ein Drittel reduziert.

Die Kampagne brachte auch das geistige Recycling der Bevölkerung in Gang. Seit Juni können sich die Curitibaner an der Freien Umweltuniversität (ULMA) über Ökologie und die Projekte der Stadtverwaltung informieren. „Nach den Lehrern kamen die Manager“, berichtet Lerner, „warum nicht auch Geschäftsleute, Hausmeister, Bus- und Taxifahrer?“

Der Bürgermeister versucht, mit Hilfe von Umweltpolitik die sozialen Probleme der Stadt zu lösen. Der Zustrom von verarmten Bauern aus dem Landesinneren hat die Bevölkerung Curitibas in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Da ein Ende der Landflucht nicht abzusehen ist, sucht Lerner händeringend nach Unternehmen, die aus der ehemaligen Agrarmetropole ein Dienstleistungszentrum machen.

Lerners Werbestrategie ist die Lebensqualität: Curitiba ist mit 51 Quadratmetern pro Einwohner Brasiliens grünste Stadt. „In Sao Paulo verlieren die Einwohner mindestens drei Stunden pro Tag im Verkehrsstau. Bei einer Lebenserwartung von 72 Jahren bedeutet dies, daß jeder neun Jahre im stehenden Auto verbringt, vom Smog und den gereizten Nerven einmal ganz abgesehen“, argumentiert der agile Bürgermeister. Sein Lockruf blieb nicht ungehört: In der Industriezone, die ein Fünftel der Arbeitsplätze Curitibas stellt, haben sich bereits Firmen wie Bosch, Siemens und Volvo angesiedelt.

Lerner weiß jedoch, daß die übermäßige Beliebtheit der Öko-Stadt Curitiba, die 1990 mit dem UNO- Umweltpreis ausgezeichnet wurde, auch fatale Auswirkungen haben kann. „Die Armen klopfen bei uns an die Tür. Wir unterstützen pro Monat jede Familie indirekt mit fünf Mindestlöhnen — durch Kinderkrippen, Schulen, Gesundheitsposten, Transport und Ernährung. Brasilien ist noch nicht explodiert, weil die Städte die Landlosen mit durchziehen.“