piwik no script img

INTERVIEW„Es hat für uns einfach keinen anderen Ausweg gegeben, als zu fliehen“

■ Alban Scharpf (33), der mit der kranken Katharina in die USA geflohen ist, möchte den Namen der Klinik, in der seine Tochter zur Zeit betreut wird, nicht bekanntgeben

taz: Herr Scharpf, wie geht es Ihnen beiden?

Alban Scharpf: Wir sind jetzt fast eine Woche da. Katharina geht es soweit gut. Sie hat sich von der Tübinger Chemotherapie einigermaßen erholt. Als wir weggefahren sind, war sie noch ganz schlimm dran von der zytostatischen Behandlung, konnte nichts essen. Die Schleimhäute im Mund hatten sich gelöst, die Lippen waren aufgeplatzt, und Katharina hatte gar keinen Appetit mehr.

Kann sie inzwischen wieder essen?

Ja, sie holt jetzt auf, was sie die letzten zehn Tagen nicht essen konnte. Ich glaube, bei ihr ist das Seelische auch das große Problem. Also es geht uns inzwischen beiden wieder recht gut. Wir haben halt Heimweh.

Wie lange werden Sie noch in den Staaten bleiben?

Sicher nicht mehr lange. Wir warten jetzt erst einmal, bis wir es schriftlich haben, daß wir wieder das Sorgerecht bekommen. Dann lassen wir Katharina daheim weiterbehandeln.

Wissen Sie schon wo?

Ja, wir haben entsprechende Fachärzte, aber wir werden nicht sagen, wer die sind und wo das ist. Wissen Sie, die werden sonst so unter Druck gesetzt. Und irgendwann muß einmal Schluß sein mit dem ganzen Trubel. Jedenfalls ist eine ordnungsgemäße Behandlung von Katharina inzwischen gewährleistet. Es wird aber sicher keine Chemotherapie mehr sein.

Wenn Sie zurückdenken, Herr Scharpf, als Sie sich entschlossen, mit Katharina zu fliehen. Glauben Sie auch im nachhinein, daß das sein mußte? Das ist immerhin kein ganz alltäglicher Schritt...

Ja. Ich hätte mir zwar so was nie träumen lassen, aber es hat für uns einfach keinen anderen Weg gegeben. Die haben in Tübingen unser Kind wieder untersucht, Knochenmarkproben genommen, Blutbild et cetera. Und sie haben keine Spur von Krebs mehr feststellen können und trotzdem Katharina wieder vollgepumpt mit Zytostatika. Nein, da blieb uns keine andere Wahl.

Aber wieso gerade die Vereinigten Staaten?

Wir haben in ganz Deutschland keinen approbierten Arzt gefunden, der Katharina nach dem ganzen Wirbel behandelt hätte. Ich habe ja wochenlang herumtelefoniert und jeden gefragt, ob er nicht einen anderen Arzt wüßte, der sie behandeln könnte. Aber da war natürlich die Angst groß, daß sie die Schuld tragen, wenn doch was mit unserem Kind passieren sollte. Auch die Ärzte, die Katharina weiterbehandeln, wollen nicht genannt werden, obwohl wir inzwischen das Sorgerecht wieder haben. Wir haben es in Österreich und der Schweiz versucht — ohne Erfolg. Da blieb uns eben nur noch Amerika.

Wie ist denn die Behandlung, die Katharina in den USA zuteil wird?

Ich kann und will dazu noch nicht endgültig was sagen. Katharina steht hier unter ärztlicher Betreuung, Näheres ist noch nicht entschieden. Es wird aber, wie gesagt, so sein, daß die Behandlung daheim fortgesetzt wird. Das wichtigste für unser Kind ist jetzt, daß es zur Ruhe kommt, daß die Angst wieder verschwindet. Wir sind zuversichtlich, daß die Behandlung Erfolg haben wird. Aber bitte, haben Sie Verständnis dafür, daß wir einfach nicht über jeden einzelnen Schritt groß berichten wollen. Es muß endlich wieder etwas Ruhe bei uns einkehren. Familienleben. Wir sind den Journalisten dankbar für ihr Engagement, denn sonst wären wir noch länger Spielball dieser Chemo-Ärzte geblieben. Und ich kann mich ja ohnehin nicht ewig verstecken. Aber was wir jetzt wieder brauchen, ist einfach etwas Ruhe.

Ihnen und Ihrer Frau ist von vielen Menschen vorgeworfen worden, Sie würden verantwortungslos handeln, das Leben Ihrer Tochter leichtfertig aufs Spiel setzen, wenn Sie die Chemotherapie nicht fortsetzen. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie solche Vorwürfe hören oder lesen?

Also, ich stell' mir das so vor: Bevor unsere Tochter krank war, hätten wir nie gewußt, was eine Chemotherapie ist. Und es wird ja wohl so sein, daß die Leute, die jetzt am meisten schreien, einen solchen Fall am eigenen Leib noch nicht erlebt haben. Ich würde wahrscheinlich auch ganz anders darüber denken, wenn wir das nicht alles durchgemacht hätten. Wir hätten ja nie mitgekriegt, wie das läuft, wenn man den Eltern das Sorgerecht einfach entzieht, obwohl die nur ihr Kind im Kopf haben, und wie sie ihm am besten helfen können. Vielen anderen geht es ja wie uns, daß sie kurz vor der Entmündigung stehen. Was ist denn das für ein Zustand in Deutschland, wenn in solchen schlimmen Situationen Ärzte den Patienten bloß noch drohen. Mir kommt das so vor, als würden die Professoren nur noch Krebszellen, Zytostatika und Blutwerte, nur noch Daten und Statistiken sehen. Die sehen oftmals den Menschen gar nicht mehr vor lauter Medizin.

Uns haben inzwischen auch mehrere Eltern geschrieben, denen man ebenfalls mit Sorgerechtsentzug gedroht hat. Von zweien, die ihre Kinder dann haben weiterbehandeln lassen, sind die Kinder gestorben. Ich hab' den Eindruck, das ist alles auch ein ganz großes Geschäft. Ein Tag Chemotherapie kostet 1.400 Mark. Da kann man sich ausrechnen, was das für ein Finanzverlust wäre, wenn viele Eltern einfach diese schreckliche Therapie nicht mehr weitermachen würden.

Sie können jetzt also wieder heim, können auch wieder zur Arbeit gehen. Sie hatten ja von Ihrem Chef unbezahlten Urlaub bekommen. Das alles war für Sie auch mit erheblichen Kosten verbunden. Nun wurden Ihnen ja von verschiedenen Illustrierten und Fernsehsendern Exklusivverträge für Ihre Geschichte angeboten. Werden Sie dies annehmen?

Ich hab' im Moment keinen Lohn mehr, aber was soll ich machen. Ich kann doch mein KInd nicht einer Chemotherapie aussetzen, bloß damit alles seinen gewohnten Gang geht. Es ist mit dem Geld schon eng bei uns, aber wir wollen uns nicht verkaufen. Wir haben für unsere Tochter gekämpft, und es geht nicht, daß wir damit Geld machen. Das wäre auch den Journalisten gegenüber unfair, die so nicht arbeiten, die fair über uns berichtet haben. Sicher, wir brauchen Geld, aber nicht auf diese Weise.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen