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Allein gegen die Götter in Schwarz und Weiß

■ Im Oktober hatte das Amtsgericht Memmingen den Eltern der leukämie-kranken Katharina Scharpf (3) auf Antrag der Ärzte das Sorgerecht entzogen, weil sie sich weigerten, ihr Kind weiterhin..

Allein gegen die Götter in Schwarz und Weiß Im Oktober hatte das Amtsgericht Memmingen den Eltern der leukämiekranken Katharina Scharpf (3) auf Antrag der Ärzte das Sorgerecht entzogen, weil sie sich weigerten, ihr Kind weiterhin chemotherapeutisch behandeln zu lassen. Am Freitag wurde es ihnen wieder zugesprochen — aber erst nachdem der verzweifelte Vater mit seiner Tochter geflüchtet war und in den USA eine renommierte Fachklinik aufgesucht hatte. Wie das Schicksal von Katharina das Leben der Allgäuer Familie verändert hat, davon erzählt unsere Reportage. Auch sprach die taz mit Alban Scharpf, der weder den Aufenthaltsort noch den Zeitpunkt ihrer Rückkehr bekanntgeben möchte.

VON KLAUS WITTMANN

Die meisten Nachbarn stehen zu uns“, sagt Hildegard Scharpf. Die 29jährige Allgäuerin, der man die Strapazen der vergangenen Monate anmerkt, legt ihren vier Monate alten Sohn Peter sanft auf die Couch und eilt zum Telefon. „So geht das seit Wochen, von früh bis abends spät“, sagt sie. Der kleine Peter schaut verängstigt, die Mutter läßt das Telefon klingeln, nimmt ihren Sohn auf den Arm. „Seit unser Bub auf der Welt ist, hat er kein normales Familienleben gekannt. Geboren ist er in Ulm, als Katharina wieder einmal bei der Chemotherapie war.“ Als die resolute junge Frau Chemotherapie sagt, funkeln ihre Augen. „Das war die Hölle. Sie hätten unser Mädel sehen sollen. Und als sie jetzt aus Tübingen zurückgekommen ist, war es noch schlimmer. Die hat nur noch geschrien, gestrampelt, um sich geschlagen.“

Hildegard Scharpfs Mann Alban ist mit der dreijährigen Katharina auf der Flucht. In einem Abschiedsbrief hat er seine Frau um Verzeihung gebeten, daß er sie nicht darüber informiert hat. „Ich konnte diesen Mord auf Raten nicht mehr mit ansehen“, hat der 33jährige Elektromeister seiner Frau geschrieben. Als er Katharina erneut nach Tübingen in die Uni- Klinik zur zytostatischen Behandlung bringen sollte, hat er mit seinem Kind die Bundesrepublik verlassen. Nur schweren Herzens hatten die Scharpfs zuvor einem Kompromiß zugestimmt, ihre Tochter statt in Ulm in Tübingen „einer geeigneten Behandlung zuzuführen“. Doch die angeblich stark abgemilderte Form der Chemotherapie sei eben alles andere als abgemildert gewesen. „Ich war schockiert, als ich den Brief per Eilboten bekommen habe, aber jetzt, wo ich mich wieder beruhigt hab', finde ich es richtig“, meint die Frau, die inzwischen den Telefonhörer ausgehängt hat. Wenige Minuten später wird sie ihn jedoch wieder auflegen. Es könnte ja was Wichtiges sein. Wieder klingelt es. „Was? Tannenhonig in den Tee? Ja, danke. Aber unser Kind ist ja in guten Händen, in ärztlicher Behandlung. Unser Problem ist im Moment ein rechtliches: Wir dürfen Katharina nicht so behandeln lassen, wie wir wollen.“

Hildegard Scharpf bekommt ungezählte Anrufe dieser Art. Fast alle wollen helfen, Tips geben, Kliniken empfehlen. Viele Mütter rufen an, die ebenfalls leukämiekranke Kinder haben oder hatten. „Und sie sagen, endlich steht das einmal jemand durch“, berichtet Hildegard Scharpf. Sie kann nicht zu Ende sprechen, ein Kamerateam des Südwestfunks steht an der Tür. Oben im Kinderzimmer dreht gerade SAT1 und kurz zuvor, da hat das ZDF wegen eines Termines angerufen, wenig später RTL. Dazwischen wieder „der lästige Mensch“ von diesem besonders aufdringlichen Boulevardblatt. Die Reporter und Fotografen von der Illustrierten, die schon einen vorgefertigten Exklusivvertrag in der Tasche hatten, sind längst abgewimmelt. „Ich will doch mit unserem Leid kein Geschäft machen“, sagt die entschlossen wirkende Mutter.

„Kommen Sie, gehen wir nach oben, da können wir uns in Ruhe unterhalten, und ich kann Ihnen den Videofilm zeigen, den wir gedreht haben, als Katharina aus Tübingen zurückkam.“ Der Arzt, mit dem sie das erste Gespräch gehabt hätten, sei richtig nett gewesen. Aber als sie dann ihr Kind einlieferten, da habe man ihnen plötzlich zu verstehen gegeben, daß man widerspenstige Eltern hier nicht haben wolle, sagt die Mutter, die immer wieder während des Videos Fotografien ihrer Tochter zeigt, als bei dieser die Folgen der Chemotherapie abgeklungen waren. „Schauen Sie mal, wie das Kind ausgesehen hat, und wie sie jetzt aussieht. Das kann man sich doch nicht mitanschauen.“ Am Fußboden stehen Kartons mit Zeitungsausschnitten, Berichten über diesen nach Ansicht ihres Anwalts in der Bundesrepublik einmaligen Fall eines Sorgerechtsentzugs. Es sind auch viele Leserbriefe darunter. Von Menschen, die sie und ihren Mann als „verantwortungslose Eltern“ beschimpfen. Zahllose Briefeschreiber signalisieren jedoch Zustimmung, wie beispielsweise der Arzt aus Leutkirch. An den Amtsrichter in Memmingen ist sein Brief gerichtet. Der Verfasser begründet ausführlich, warum er und viele seiner Kollegen die Aussagen des Leiters der Ulmer Uni-Kinderklinik anzweifeln, daß bei der Chemotherapie eine 80- bis 90prozentige Heilungschance besteht. „Das haben mir viele Ärzte bestätigt, daß das nicht stimmt“, beteuert Hildegard Scharpf. „Die hören doch nach fünf Jahren auf mit ihrer Statistik. Und was ist mit den Kindern, die danach sterben, die ihre Volljährigkeit nie erreichen?“ Sie will nichts mehr hören von Verständnis für die Ärzte in Ulm und sonstwo, will nicht mehr diskutieren über die hohe Verantwortung, die ein Arzt in einer so schwierigen Situation trägt. Ihrem Mann und ihr Verantwortungslosigkeit vorwerfen und dann von ihr Verständnis für die Professoren zu fordern, sei einfach zuviel verlangt.

„Sogar aus dem Ausland bekommen wir Unterstützung“, berichtet Hildegard Scharpf. „Von dort ist uns auch ärztliche Hilfe angeboten worden. Und genau die hat mein Mann auch in Anspruch genommen.“ Nach Angaben von Rechtsanwalt Georg Meinecke „in einer der renommiertesten Kliniken der Welt“. Immer wieder hat der Patientenanwalt Meinecke in ausführlichen Anträgen an das Memminger Gericht begründet, warum er den Sorgerechtsentzug für verfassungswidrig hält, warum dieser gegen das Grundrecht auf freie Arztwahl und freie Wahl der Behandlungsmethoden verstoße. Am Freitag hat jedoch der Vormundschaftsrichter Dr.Klaus Göppner die Beschlüsse aufgehoben. Der Anwalt hatte ihm zuvor versichert, daß das Kind in einer anerkannten Klinik behandelt wird. Den Eltern von Katharina wird das Sorgerecht für ihr Kind zurückgegeben. Der Vizepräsident des Landgerichts Memmingen, Günter Meltendorf, sagte dazu: „Die im Paragraphen 1666 als Grundlage für den Sorgerechtsentzug genannte mißbräuchliche Ausübung des Sorgerechts ist nach der Einweisung des Kindes in eine Fachklinik nicht mehr gegeben.“ Die Mutter des Mädchens traut der mündlichen Nachricht allerdings nicht. „Das will ich erst schwarz auf weiß haben“, sagt sie energisch. „Die haben unser Kind viel zu lange als Spielball behandelt. Denen glaube ich nichts mehr.“

Familienleben, sagt die 29jährige, Familienleben sei für sie und ihren Mann längst ein Fremdwort. Ob sie glaubt, daß es jetzt nach dieser Entscheidung, jetzt wo sie das Sorgerecht wieder haben, besser wird? „Ich weiß nicht, das ist alles so unglaublich!“ Es ist noch nicht sicher, aber vermutlich wird Alban Scharpf in Kürze zurückkommen. Wahrscheinlich wird Katharina noch geraume Zeit in dieser renommierten Klinik weiterbehandelt, deren Namen die Scharpfs nicht nennen wollen. Weil sonst dieser ganze Trubel gar nicht mehr aufhört. Die ersten Fernsehteams haben sich schon um Flüge in die USA gekümmert, nur: Wohin genau buchen? — Es wird noch einige Wochen viel Wirbel um die Familie Scharpf aus Markt Rettenbach geben. „Aber irgendwann, hoffe ich, traut sich Katharina auch mal wieder ohne Angst, daß sie von fremden Männern abgeholt wird, in den Garten raus.“ Dieser Moment, als die Beamten des Jugendamtes vor der Tür standen, um ihr Kind zur Zwangsbehandlung in die Uni-Klinik Ulm abzuholen, dieser Moment wird Hildegard und Alban Scharpf so schnell nicht aus dem Kopf gehen. Und die juristischen und medizinischen Streitfragen, auch sie werden viele Fachleute noch einige Zeit beschäftigen.

Das „Spendenkonto Katharina“, das anfänglich gegen den Willen der Fam. Scharpf eingerichtet wurde, hat die Kontonummer: 190856500 (BLZ: 73150000).

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