Hexen haben neun Leben

■ Ein Zwei-Frauen-Musical vom »Comp Musiktheater« im Intimen Theater

Zwei alte Freundinnen auf einem Klassentreffen haben sich viel zu erzählen. Was aber, wenn sie nicht nur über ihre Männer, Karrieren oder Kinder aus den letzten Jahren plaudern, sondern die Jahrhunderte miteinbeziehen? Von Teufeln und Knusperhäuschen träumen und Lady Macbeth herbeizitieren? Dann kann es sich nur um Hexen handeln, denn Hexen haben neun Leben. So wie Anna und Grete, die sich in ihrem achten Leben befinden und über ihre Erfahrungen resümieren. Und dabei feststellen müssen, daß sich manches einfach nicht geändert hat.

»Es geht nicht darum, zu bekommen, was man liebt, sondern zu lieben, was man bekommt«, ist das lakonische Motto der beiden Frauen, die das »Comp Musiktheater« wundervoll amüsant im Intimen Theater präsentiert. Frauenepisoden in Musicalform mit einem lockeren roten Faden: fern von sturem und langweiligen Feminismus, charmant, sinnlich, mal rasant, mal melancholisch-leise — ein metaphorischer Cocktail aus Geschichte, Märchen und gegenwärtiger Realität.

Anna (Sabine Schwarzlose) und Grete (Conny Diem) sind zwei grundsätzlich verschiedene Typen: die eine Nur-Hausfrau, die andere ein Karriere-Neutrum (die Schnittmenge aus beidem ergäbe »doppelbelastet«!). Anna ist immer noch mit Hendrik verheiratet, die polygame Grete lacht darüber. Doch nach einer Weile müssen beide feststellen, daß ihr Leben nicht so unterschiedlich verläuft, wie sie denken.

Beide haben sich in ihre Rollen drängen lassen und sind damit mehr oder weniger unzufrieden. Denn ob man sich zu Hause auf die Nerven gehen lassen muß oder im Büro, ist ziemlich egal. Tauschen möchten sie deshalb nicht, schließlich konnten beide den anderen Part in einem ihrer vorherigen Leben ausprobieren: Anna als einsame Knusperhexe, der die Decke auf den Kopf fiel (aber immerhin durfte sie zum ersten Mal einen Kindsmord begehen) und Grete als zweite Frau des Vaters von Schneewittchen, die mit dieser Aufgabe ja bekanntlich nicht besonders gut zurechtkam. Eva (die mit Adam), Salome, Circe — alles haben sie miterlebt, mehrfach sind sie verbrannt worden, und was hat sich getan? Schon Lots Frau drehte sich mit bösen Folgen nach ihrem Mann um: »Bumms — Salzsäule!«

Es macht Spaß, den beiden Akteurinnen bei der Verkörperung ihrer unzähligen Rollen zuzusehen. Sabine Schwarzlose, groß und blond, mit heller Stimme, brilliert durch ein gekonntes, beleidigtes Schmollmündchen, wenn die Partnerin ihren »way of life« wieder einmal belächelt. Und Conny Diem, das dunkelhaarige und dunkelstimmige Gegenstück, ist herrlich verrucht und durchtrieben, aufreizend sinnlich und manchmal makaber. Das Musical lebt von diesem kontrastreichen Paar, das so harmonisch singt und doch so unterschiedlich handelt.

Die Texte sind in vier Blöcke aufgeteilt: Autor (und Regisseur) Peter Lund schafft damit eine Dramaturgie, die von Frühling bis Winter, von Lebensanfang bis -ende, von albern bis zartbitter reicht. Ein fröhliches Wanderlied mit dem Refrain »Schmeiß dein Kind nicht an die Wand, bring es lieber in den Wald« beendet die optimistischen Exkurse: »Jedem seine Leiche«. Geschickt leitet Lund den Herbst ein: die ersten Krähenfüße zeigen sich im Gesicht wie Spuren im Schnee, Anna und Grete spazieren auf imaginären Friedhöfen und wünschen sich mehr für ihr neuntes Leben.

Ein erstaunlich erfrischender Abend für ein Thema, das schon mancherorts humorlos und verbissen in die Hosen ging, mit intelligenten Texten und eingängiger Musik (Danny Ashkenasi). Wer noch wissen möchte, was ein richtiger »Hexen- Schuß« ist, was Mumps im Kindesalter für Folgen haben kann und was Lady Macbeth mit einer Kreuzspinne gemeinsam hat, sollte sich »Hexen« unbedingt ansehen! Anja Poschen

Nächste Vorstellungen: 15., 16. und 17. November, jeweils 21.00 Uhr, Intimes Theater, Oranienstrasse 162.