Aids-Schock durch „Magic“

Die Aids-Infektion des amerikanischen Basketball-Stars „Magic“ Johnson hat seine Landsleute in wenigen Tagen derart aufgerüttelt, daß plötzlich jedermann neue Fragen zur Krankheit stellt und sämtliche beteiligten Wissenschaftler über neue Strategien sprechen. Die Nachricht sei nur mit der vom Kennedy-Mord vergleichbar gewesen, hieß es in der 'Washington Post‘.

„Jetzt, denke ich, werden die Leute wirklich realisieren, daß diese Krankheit keine Einkommensunterschiede kennt, keine rassischen und keine sexuellen Grenzen“, sagte Dr. Mervyn Eilverman, der Direktor der Amerikanischen Stiftung für Aids- Forschung. Der eher nebenbei gegebene Hinweis des Supersportlers, er habe sich beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr infiziert, hat darüber hinaus die im öffentlichen Unterbewußtsein immer noch festsitzende Überzeugung erschüttert, Aids sei eine Krankheit der Homosexuellen und der Drogensüchtigen.

Außerdem wurde deutlich, daß die widersprüchlich scheinenden Statistiken keinen Anlaß zur Beruhigung geben. In den letzten Jahren hatte sich die Zahl der Neuinfizierungen auf rund 40.000 reduziert, nachdem es in der ersten Hälfte der 80er Jahre noch bis zu 100.000 Fälle waren. Das lag aber in beträchtlichem Ausmaß daran, daß die Gruppen der Homosexuellen und der Drogenspritzer bereits zu einem großen Teil infiziert waren. Die weit größere Gruppe der heterosexuellen, allenfalls vom Alkohol oder vom Nikotin abhängigen Amerikaner gerät erst jetzt in größerem Umfang in die akute Gefahr einer Ansteckung.

1983 hatten sich nur knapp drei Prozent aller Aids-Infizierten beim Heterosex den Virus geholt, heute sind es gut zehn Prozent. Von den 10.989 Aids-Fällen, die auf diese Ansteckungsquelle zurückgingen und bis zum 30.9. dieses Jahres gemeldet wurden, entstanden die meisten erst in den vergangenen 19 Monaten. 4.321 Männer waren betroffen, und 6.668 Frauen.

Mehr als 126.000 Amerikaner sind bisher an Aids gestorben, 47.000 davon allein im vergangenen Jahr. In diesem Jahr werden die USA 5,8 Milliarden Dollar für die Behandlung und Pflege der Aidskranken ausgeben, viel zuwenig nach Überzeugung der Betroffenen. Schon 1994, schätzen die Experten, wird es der doppelte Betrag sein, da viele der Infizierten erst in den kommenden Jahren erkranken und neue Medikamente und Behandlungsmethoden ins Spiel kommen.

Die beiden bisher einzigen Mittel AZT und DDI können das Leben der Betroffenen nur um ein oder zwei Jahre verlängern — Heilung bringen sie nicht. „Jeder, der Vorhersagen über den Zeitpunkt der Entdeckung eines wirksamen Mittels macht, weiß entweder nichts über die Schwierigkeiten oder ist nicht ehrlich“, sagt Anthony Fauci, der beim Nationalen Gesundheitsinstitut für die Aids-Forschung verantwortlich ist. Immerhin werden bereits zehn Impfstoffe auf ihre Sicherheit getestet — die Wirksamkeitsprüfungen können erst danach in einigen Jahren beginnen. Aber die Frustration über die Ohnmacht und die ausbleibenden Erfolge hat zu neuen Strategien geführt: neue Impfstoffe sollen an Menschen statt wie üblich an Tieren erprobt werden, an Freiwilligen in Brasilien, Ruanda, Thailand und Uganda. Schon in zwei Jahren soll mit dem Programm begonnen werden, und angesichts des Ausmaßes der Epidemie ist an diesen Freiwilligen kein Mangel.

Die Weltgesundheitsorganisation, die die gegenwärtige Zahl der Infizierten mit elf Millionen beziffert, rechnet bis zum Ende des Jahrzehnts mit einem Heraufschnellen auf vierzig Millionen. Zehn Millionen davon werden Kinder sein. Helmut Räther/dpa