Kurskorrekturen im Stasi-Fahrplan

■ Beinahe in letzter Sekunde haben sich die Fraktionen von CDU, FDP und SPD darauf verständigt, vor der Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes am Donnerstag im Bundestag die strittigen Passagen...

Kurskorrekturen im Stasi-Fahrplan Beinahe in letzter Sekunde haben sich die Fraktionen von CDU, FDP und SPD darauf verständigt, vor der Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes am Donnerstag im Bundestag die strittigen Passagen ihres gemeinsamen Gesetzentwurfes, in denen die Arbeit der Medien eingeschränkt wird, abzuändern. Der massive Druck von seiten der Medien und der Öffentlichkeit hat offenbar Wirkung gezeigt.

Der Bürgerrechtler und Mitbegründer des Magdeburger Komitees zur Auflösung der Staatssicherheit, Jürgen Vogel, drängt zur Eile: Sein Buch „1989 — Das Jahr aus der Sicht der Staatssicherheit“ soll schnellst möglich auf den Markt kommen. Erscheinen soll es auf jeden Fall, „bevor das Gesetz gilt“. Vogel fürchtet, daß nach der Verabschiedung des Stasiunterlagengesetzes (StUG) am Donnerstag im Bundestag, nicht nur die Veröffentlichung personenbezogener Daten aus den Akten des früheren Spitzelministeriums unter die Strafbestimmungen des neuen Gesetzes fallen könnten. Für die 260 Seiten seines Buches hat der Stasi-Auflöser zwar im wesentlichen nur auf Dienstanweisungen, -ordungen und Sachstandsberichte des ehemaligen Ministeriums zurückgegriffen und bewußt auf die Verwendung personenbezogener Akten verzichtet. Aber die Grenzen — so Vogel — sind fließend. Schließlich stehen in den Lagenberichten der Stasi neben allgemeinen Berichten auch Namen.

Die Angst des Bürgerrechlers vor einer Strafverfolgung könnte sich als gegenstandslos erweisen. Beinahe in letzter Sekunde haben sich die Fraktionen von CDU, FDP und SPD darauf verständigt, die strittigen Passagen ihres Gesetzentwurfes, in denen die Arbeit der Medien einschränkt wird, abzuändern. Die Koalition aus Regierung und Sozialdemokratie bewegte sich gestern — der massive Druck der Öffentlichkeit zeigte Wirkung. In einer ersten Stellungnahme bedauerte allerdings der Deutsche Journalistenverband, daß die geplanten Änderungen „an der eigentlichen Kritik vorbei zielen". So bleibe von Strafandrohung bedroht, „wer von diesem Gesetz geschützte Originalunterlagen oder Duplikate von Originalunterlagen mit personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlauf öffentlich mitteilt“. — Der gemeinsame Entwurf von Union, FDP und SPD hatte quer durch alle Medien zu einem Sturm der Entrüstung geführt; das Wort vom „Maulkorb für die Presse“, einer verfassungswidrigen Beschneidung der Pressefreiheit und einer Blockierung der Stasi-Auarbeitung machte die Runde. Beanstandet wurde insbesondere die geplante ersatzlose Herausgabepflicht für alle Stasiunterlagen an die Gauck-Behörde und die Strafandrohung für eine nicht durch die Gauck-Behörde autorisierte Verwendung der Stasi- Unterlagen.

Der Protest kam aber nicht nur vom Bundesverband der Zeitschriften- und Zeitungsverleger, den BürgerechtlerInnen aus der DDR und den Journalsitenverbänden. Auch führende Strafrechtsexperten erhoben den Einwand, die von Bonn geplante Regelung sei verfassungswidrig. Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Martin Hirsch, war einer der schärfsten Kritiker. In einem Rundfunkinterview des Berliner Rias bezeichnete er den Entwurf, für den am vergangenen Mittwoch alle Parteien im Innenausschuß mit Ausnahme des Bündnis 90/Grüne gestimmt hatten, gestern als Schnellverfahren, das die offene Diskussion völlig vereisen lasse. Er äußerte die Befürchtung, das geplante Gesetz könne zu gravierenden Eingriffen in die Rechte der Bürger führen. Den Bundestagabgeordneten hielt Hirsch ihre Untätigkeit entgegen; er verstehe nicht, daß sie sich die praktizierte Geheimnistuerei gefallen ließen.

Justizminister Klaus Kinkel (FDP) sah gestern ebenfalls Handlungsbedarf. Auch seine Einwände zielten auf die Regelung, nach der die Medien vor einer Veröffentlichung aus den Stasi-Akten die Genehmigung der Gauck-Behörde einholen müßten. Kinkel wollte überprüft wissen, wieweit bei einer Berichterstattung über Personen der Zeitgeschichte eine solche Erlaubnis des Sonderbeauftragten für die Stasiunterlagen überhaupt zulässig ist.

CDU, FDP und SPD wollen nun ihren Entwurf entschärfen. Wenn am Donnerstag die vom Innenausschuß beschlossene Gesetzvorlage in den Bundestag eingebracht wird, sollen die besonders beanstandeten Stellen mit einem gemeinsamen Abänderungsantrag entschärft werden. Darauf verständigten sich gestern vormittag die mit dem Entwurf befaßten Mitarbeiter der Fraktionen, darunter die innenpoliischen Sprecher Willfried Penner (SPD), Burkhardt Hirsch (FDP) und Johannes Gerster (CDU). Gemeinsam verfaßten sie einen schriftlichen Änderungsantrag, der nun den Fraktionen zur Zustimmung vorgelegt und morgen in die Bundestagsdebatte eingebracht werden soll. Von diesem Verfahren verspricht sich der SPD-Mann Willfried Penner, daß es das weitere Gesetzgebungsverfahren nicht blockiert und daß das Stasiunterlagengesetz — nachdem es im Dezember den Bundesrat passieren soll — noch zum 1. Januar 1992 in Kraft treten kann.

Geändert wird im Gesetzentwurf insbesondere die Strafvorschrift, die bisher die Weitergabe und Veröffentlichung von „personenbezogenen Informationen, die nicht offenkundig sind“, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht. In der neuen Fassung soll die Strafandrohung auf „personenbezogene Informationen über Betroffene oder Dritte“ eingeschränkt werden — die angedrohte Strafe soll auch entfallen, wenn der Betroffene oder Dritte in die Veröffentlichnug eingewilligt hat.

Am Zwang zur Herausgabe von Stasi-Unterlagen an die Behörde des Bundesbeauftragten wollen die Obmänner der Fraktionen allerdings festhalten. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte, so wird argumentiert, sei es notwendig, neben den Orginaldokumenten auch die ersatzlose Herausgabe von Duplikaten zu verlangen, die „eine natürliche Person oder nicht-öffentliche Stelle“ angefertigt hat. Im Gegensatz zur im Innenausschuß beschlossenen Fassung soll dies aber nicht mehr für „Abschriften, persönliche Notizen und ähnliche Vermerke“ gelten. Der am letzten Mittwoch verabschiedete Gesetzentwurf, räumen die Fraktionsvertreter mittlerweile ein, „hat verschiedentlich zu dem Mißverständnis geführt, es sollten Täter geschützt werden“. Die Kurskorrektur nun: Forscher und Journalisten sollen von der Gauck-Behörde künftig auch Unterlagen über Stasi-Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden, „die nicht als Amtsträger gehandelt haben“, also auch über Inoffizielle Mitarbeiter und sonstige „Begünstigte“ der einstigen Stasi-Krake.

Entfallen soll nun auch die Vorschrift, wonach Journalisten eine Veröffentlichung aus personenbezogenen Stasi-Unterlagen nur dann erlaubt sein sollte, wenn es sich dabei um ein Ereignis der Zeitgeschichte handelt. Die vielgescholtene Regelung, von den Journalistenverbänden als „Maulkorb“ bezeichnet, soll jetzt gestrichen und damit „dem Öffentlichkeitsauftrag von Presse, Rundfunk und Film Rechnung getragen“ werden.

Wolfgang Gast