: CSFR: Einig nur in der Uneinigkeit
Verhandlungen über die künftige Verbindung zwischen der Slowakei und den tschechischen Ländern ohne Ergebnis/ Die Mehrheit ist in beiden Teilstaaten für den Erhalt der Föderation/ Havels Initiative ■ Aus Prag Sabine Herre
Am Ende war alles so unklar wie am Anfang. Zwei volle Tage hatten die Präsidien des slowakischen und tschechischen Parlaments — unter zeitweiliger Beteiligung von Staatspräsident Václav Havel und den Ministerpräsidenten Jan Carnogursky und Petr Pithart — über die Zukunft der Tschechoslowakei verhandelt, doch was die Protagonisten am späten Dienstag abend schließlich mitzuteilen hatten, konnte die Befürchtungen eines sich beschleunigenden Zerfallsprozesses des föderativen Staates nicht zerstreuen. Einig war man nur, sich nicht einig zu sein. Konkret heißt das: Rund ein Viertel der 88 Paragraphen des Vertrags, der die gemeinsame Zukunft der beiden Republiken sichern soll, ist umstritten. Weiterhin unklar sind außerdem der seit Monaten diskutierte Prozeß der Ratifizierung und der Charakter dieses Dokuments. Denn während ein Teil der slowakischen Politiker von einem „zwischenstaatlichen Vertrag“ spricht, lehnt die tschechische Seite diese Formulierung vehement ab. Schließlich seien beiden Republiken keine international anerkannten Subjekte.
Hinter der Ablehnung Prags verbirgt sich die Befürchtung, daß im Prozeß der Annahme dreier Verfassungen — einer slowakischen, einer tschechischen und einer föderalen — die CSFR für eine wenn auch kurze Zeit zu existieren aufhören könnte — mit entsprechenden Rechtsfolgen für die internationalen Verträge.
Chaos herrscht auch in der Interpretation scheinbar eindeutiger staatsrechtlicher Begriffe. Jede Seite buchstabiert „Föderation“ und „Konföderation“ auf die ihnen genehme Weise, am letzten Samstag warf Petr Pithart mit seiner Metapher eines „Doppelhauses“ eine weitere Rauchbombe in die Diskussion. Pitharts Vorstoß beweist immerhin: Auch auf der tschechischen Seite wächst die Bereitschaft, eine „lockerere Verbindung“ als bisher mit der slowakischen Republik einzugehen.
Auch wenn die Mehrheit der Politiker beider Seiten weiterhin auf die Fortführung der Vertragsverhandlungen setzt, bereiteten sie sich bereits am Donnerstag auf ihr Scheitern vor. In Prag diskutierte die Föderalversammlung das von Václav Havel vorgeschlagene Referendum. Da nach Meinungsumfragen nicht nur die Mehrheit der Tschechen, sondern auch der Slowaken die Föderation erhalten möchte, sind die slowakischen Separatisten nicht an einem Referendum interessiert. Mit ihrer Sperrminorität in einer der beiden Kammern des CSFR-Parlaments könnten sie einen Beschluß über die Fragestellung blockieren.
Sinn und Unsinn des Referendums wird jedoch auch von den tschechischen Parteien heftig diskutiert. Schließlich, so heißt es, müßten in der Fragestellung auch die genauen Konturen des neuen tschechoslowakischen Staates aufgenommen werden. Ansonsten würde nach der Abstimmung die Diskussion über die Kompetenzen der Teilrepubliken auf der einen und der Föderation auf der anderen Seite erneut entbrennen. Eben diese Kompetenzverteilung sei bis jetzt jedoch nicht geklärt, mit den verschiedenen Varianten könnten die Bürger in der Abstimmung nicht belastet werden.
In Bratislava sollten die Abgeordneten am Donnerstag dagegen die „Erklärung der slowakischen Souveränität“ diskutieren. Nachdem diese bisher von der Regierungskoalition verhindert werden konnte, scheint ihre Annahme nach den ergebnislosen Vertragsverhandlungen immer wahrscheinlicher zu werden. Doch auch hier gibt es eine entscheidende Unklarheit. Während die nationalistischen Parteien der Slowakei eine Souveränitätserklärung mit der Selbständigkeit und der internationalen Anerkennung des neuen Staates gleichsetzen, sind für Jan Carnogursky „Souveränität“ und „Selbständigkeit“ staatsrechtlich keine identischen Begriffe. Ähnlich wie sein Gegenspieler Pithart übt sich auch Carnogurski in Rätseln. Während er sich einerseits für den Erhalt des gemeinsamen Staates „aus wirtschaftlichen Gründen“ ausspricht, hat er andererseits nie einen Zweifel an einem anderen Ziel gelassen: Bis zum Jahr 2000 wolle die Slowakei selbständiges Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft werden.
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