INTERVIEW
: „Ein geschickter Schachzug der Serben“

■ Der Zagreber Politikberater Zarko Puhovski (45) über Rolle und Verortung von UNO-Truppen

taz: Herr Puhovski, bereits am 1. Oktober haben Sie im Gespräch mit der taz den Standpunkt vertreten, die Entsendung von UN-Friedenstruppen nach Jugoslawien würde dann einen Sinn machen, wenn damit verschiedene Bedingungen verknüpft wären: Zuerst müßten Ihrer Meinung nach die Republiken diplomatisch anerkannt werden, dann müßte Druck auf die kriegführenden Parteien ausgeübt werden, und erst dann könnte es zu einem Einsatz von Friedenstruppen kommen...

Puhovski: Richtig. Der Einsatz von Friedenstruppen — daran hat sich nichts geändert — ist mit Risiken verbunden. Und mir scheint, ihr Einsatz kommt fast schon zu spät. Alle jene von Ihnen genannten Voraussetzungen sind immer noch nicht erfüllt. Selbst die Anerkennungsdiskussion wird nicht grundsätzlich geführt: Deutschland will zwar Slowenien und Kroatien anerkennen, aber Bosnien, das wichtigste Problem, wird außer acht gelassen. Auch bei den ökonomischen Boykottmaßnahmen wird falsch vorgegangen: Hier werden praktisch alle bestraft, auch Slowenien.

Sie meinen also, diese Politik ist nicht differenziert genug, sieht immer noch Jugoslawien als Ganzes?

Ich glaube, ökonomisch ist Jugoslawien immer noch als Ganzes zu betrachten. Aber das darf nicht zur Folge haben, daß Leute, die unschuldig sind, durch solche Maßnahmen betroffen werden.

Kommen wir zum Besuch Carringtons in Belgrad...

Und nach Zagreb kommt der US-Emissär Vance.

Es ist also etwas in Bewegung gekommen seit dem Außenministertreffen im Anschluß an die Nato-Tagung in Rom. Die USA scheinen sich nicht mehr prinzipiell raushalten zu wollen, nicht?

Der Einsatz von UN-Truppen ist eine Möglichkeit, die Kämpfe zu beenden. Allein das wäre schon ein positiver Schritt. Beide Seiten, Serbien und Kroatien, scheinen dem außerdem zuzustimmen. Aber da sind wir schon beim wichtigsten Problem: Die serbische Seite will die UN-Truppen an der Frontlinie haben, um das eroberte Gebiet zu sichern. Und die kroatische Seite will diese Truppen an den alten Grenzen sehen. Aus rein technischer Sicht hat die serbische Seite leider recht. Denn die UN-Friedenstruppen müßten ja zwischen die Kampflinien treten. Würden sie an den Staatsgrenzen postiert, rückten die UN-Truppen hinter der Armee auf — was aber nicht geht. Würden sie an der Frontlinie stationiert, wäre das eine De-facto-Bestätigung der Annexion.

Deshalb hat Serbien wohl auch den Einsatz der UN- Truppen vor drei Tagen vorgeschlagen...

Genau, das war ein geschickter Schachzug. Sie haben genau analysiert, wie sie eventuelle UN-Aktionen für sich instrumentalisieren können.

Es gab ja noch die Option Euro-Truppen?

Gegen die wehren sich die Serben vehement. Man darf nicht vergessen, daß ungarische, deutsche, italienische und bulgarische Truppen einmal als Okkupationstruppen in Jugoslawien waren. Das würde eine Atmosphäre schaffen, die nur die Armee stärken könnte. Denn man hätte auf einmal einen äußeren Feind.

Milosevic hat aber auch gemerkt, daß Serbien politisch und ökonomisch am Boden ist...

Sicher. Und was überdies unterschätzt wird, ist der Unwille Tausender Reservisten, zu kämpfen. Die Leute machen das nicht aus politisch-ideologischen Gründen. Das ist für Serbien ein viel größeres Problem als die ökonomische oder politische Isolation. Serbien ist im Winter nicht mehr imstande, die militärischen Operationen durchzuführen. So versuchen sie, die UN-Truppen als ihre Reserve anzusehen.

Insoweit käme der Carrington-Vorschlag den serbischen Vorschlägen entgegen. Friedenstruppen würden zur Partei werden...

Ja, auch noch in einem anderen Sinne. Das Armeekommando selbst kontrolliert ganz sicher nicht mehr alle Teile der eigenen Truppen. Dazu gibt es noch die Privatarmeen. Wenn diese Banden UNO-Soldaten töten, haben wir eine Internationalisierung des Krieges. Es darf keine unkontrollierten Truppen geben, wenn die UN-Truppen kommen. Ich glaube nicht, daß diese Gefahr von den zuständigen Leuten bislang richtig bedacht worden ist. Interview: Erich Rathfelder