EG-Minister ringen um jedes Komma

Großbritannien gesteht dem Europäischen Parlament ein wenig mehr an Rechten zu/ Mehr deutsche Abgeordnete im EP/ Keine Bewegung bei EG-Streitmacht, Innen- und Justizpolitik  ■ Von Michael Bullard

Brüssel (taz) — Großes stehe auf dem Spiel, drohte EG-Visionär Jacques Delors. „Wenn wir uns nicht unserer historischen Aufgabe stellen“, so der Präsident der EG-Kommission vor der Klausurtagung der zwölf Außenminister Dienstag und Mittwoch im holländischen Noordwijk, „dann könnte sich die Gemeinschaft am Ende auflösen.“ Mit ähnlichem Pathos mischte sich auch Bundeskanzler Helmut Kohl in die Debatte über die angestrebte politische Union ein, die zusammen mit einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion Anfang Dezember beschlossen werden soll. Adressat der Hiobsbotschaften ist vor allem der britische Premierminister, der sich bislang am vehementesten gegen ein engeres politisches Zusammenrücken der Mitgliedsstaaten wehrt.

John Major steht nächste Woche eine zweitägige Debatte im britischen Unterhaus bevor, wo seine Vorgängerin, die noch immer populäre EG-Gegnerin Margaret Thatcher, ihn des Ausverkaufs Großbritanniens an die „Föderalisten in Brüssel“ bezichtigen wird. Weitgehende Zugeständnisse, wie sie Kohl und Delors fordern, sind von Major dieser Tage deswegen nicht zu erwarten. Gleichwohl ließ der britische Premier seinen Außenminister in Noordwijk immerhin einen vorsichtigen Kompromiß andeuten.

Über mehr Rechte des Europaparlaments in bestimmten Bereichen, so Douglas Hurd, ließe sich reden. Damit bezog er sich auf die im Vertragsentwurf der niederländischen EG- Präsidentschaft aufgelisteten Bereiche wie Binnenmarkt, Erziehung, Gesundheit, Kultur, Tourismus, Konsumentenschutz, Energie und Umwelt. Über Gesetze in diesen Bereichen soll der Ministerrat in Zukunft mit Mehrheit abstimmen können statt wie bisher mit Einstimmigkeit. Nach Bonner Ansicht sollen die Europaparlamentarier zumindest in diesen Bereichen ein echtes Mitbestimmungsrecht erhalten. Soweit möchten die Briten allerdings nicht gehen. Die Mitwirkung des Parlaments wollen sie auf die Gesetzgebung für den Binnenmarkt beschränkt sehen. Bei allen anderen Gesetzesakten sollen die Abgeordneten keine oder nur geringe Mitwirkungsrechte erhalten.

Immerhin scheint die Forderung der Bundesregierung, die Zahl der bundesdeutschen Europaabgeordneten aufzustocken, inzwischen mehrheitsfähig zu sein. Zwar gibt es bereits achtzehn „Beobachter“, die für ihre Wähler aus den fünf neuen Bundesländern in Straßburg und Brüssel sitzen. Sie haben jedoch kein Stimmrecht. Dies soll im Rahmen der jetzt vorbereiteten EG-Vertragsreform nachgeholt werden.

Ungeklärt blieb bis Redaktionsschluß, ob der bundesdeutschen Forderung nach Einrichtung eines Regionalausschusses neben Europaparlament und Ministerrat stattgegeben wurde.

Keine Bewegung gab es bei der Innen- und Justizpolitik sowie bei der Debatte über eine von Kohl und seinem französischen Kollegen Francois Mitterrand propagierte eigenständige europäische Streitmacht. Für diese Fragen versucht der niederländische Vorschlag Kompromisse zu finden. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik soll weiterhin außerhalb der EG im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) oder der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) stattfinden. So nennt sich die nicht in Brüssel, sondern in den jeweiligen Hauptstädten koordinierte Zusammenarbeit der EG-Regierungen im Bereich der Außenpolitik.

Allerdings sollen in Zukunft zumindest teilweise Mehrheitsentscheidungen zulässig sein. Zudem soll die EG-Kommission das Recht erhalten, auch in diesen Bereichen Politiken vorzuschlagen. Aus taktischen Gründen will die niederländische EG-Präsidentschaft die Frage des zukünftigen Verhältnisses zwischen der EG, der Westeuropäischen Union und der Nato aus dem eigentlichen Vertragswerk heraushalten und in einer separaten Erklärung behandeln. Dagegen wehrt sich besonders die französische Regierung. In Paris befürchtet man, daß dadurch die Entscheidung über eine europäische Streitmacht verschoben werden könnte.