Flanke auf King Übü

■ Das Fußballerische in der Musik: Zum 1. Internationalen Symposion für Freie Improvisation / Ab heute

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von dem Glatzkopf

mit Brille

Torsten Müller, Leiter von Radio-Bremen-JazzFoto: Jörg Oberheide

Früher hatte man das Sax auszupacken und Musik zu machen, keine Worte. Heute soll, übrigens erstmals in Deutschland, ein Versuch beginnen, sich über das Abenteuer des freien Improvisierens zu verständigen. Die Radio-Bremen-Jazzredaktion bietet drei Tage lang in der Galerie Rabus Referate, Diskussionen und Konzerte. Die taz sprach vorab mit Torsten Müller, einem der Initiatoren, über eine Kunst ohne Werk.

taz: Den Bauch, aus dem angeblich die freie Improvisation aufsteigt, den hält man gern für unerforschlich. Was soll da ein wissenschaftliches Symposion ausrichten?

Torsten Müller: Es stimmt eben nicht, was man oft hört, daß man diese oder jene Improvisation nur

mögen kann oder nicht, je nach Geschmack. Es gibt, wie überall sonst, Qualitätskriterien: des Timings, der Intonation, der Klanglichkeit. Ob da zwei mit eigenem Vokabular spielen, wo eins ins andere greift, oder ob die da rumdaddeln, das hört man, mit einiger Übung, sofort. Man kann bloß schwer drüber reden. Seltsamerweise gibt es noch keine Sprache dafür, obwohl jeder sagen kann, warum der HSV miserabel und die Eintracht brillant gespielt hat. Aber zum Beispiel Elke Schipper am letzten Tag, die wird sich, mit Hörbeispielen, solchen Fragen nähern.

Aber ob der Rechtsaußen sauber flankt, ist wirklich einfacher zu entscheiden als der Wert eines musikalischen Zuspiels.

Schon, bloß so groß sind die Unterschiede gar nicht. Mit Christmann spiel ich schon so lang, daß man uns nachts aus dem Bett holen und auf die Straße stellen könnte, und es würde was passieren. Da weiß ich, wann der Querpaß kommt, und habe die Freiheit, zu reagieren, wie ich will. Das ist der Unterschied des Professionellen gegenüber den Gruppendynamikern, wo alle gemeinsam ein bißchen quietschen und schaben. Da passiert im Grunde nichts, außer daß alle in der Runde sitzen und horchen und jeder gibt dann seinen Quiekser dazu. Das ist langweilig, vor allem für den Zuhörer.

Daß es keine Sprache gibt, darüber zu reden, liegt das nicht auch ein bißchen an maulfaulen Musikern? An diesem Free-Ethos des Losfetzens?

Ja, das ist ein Fehler. Diese Musik lief ja anfangs mitten im anarchischen Freejazz mit. Dort herrschte das Gesetz, daß man über Kunst nicht spricht. Alles ist erlaubt, man geht auf die Bühne, packt aus, hupt los, hinterher geht man saufen, bis man umfällt. Das gibt's immer noch, dieses Rabaukentum.

Die Brötzmann-Fraktion?

Ja. Die wird übrigens auf dem Symposion nicht vertreten sein. Das hat sich, glaube ich, ziemlich totgelaufen, das ist bloß noch martialisches Männergestampfe. Und ein Alibi. Da fehlt's vielleicht schlicht an der Bereitschaft, sich auf Struktur und Formbewußtsein einzulassen. Es geht schon intelligenter: Bei uns treffen sich Leute, die arbeiten seit zwanzig Jahren, ziemlich am Rand des Betriebs, an ihrem eigenen Vokabular. Da gäbe es viel, worüber zu reden ist, wir bräuchten geradezu sowas wie die Trainer im Fußball. Leute, die rumgehn und sagen: halt, das muß aber jetzt noch besser werden. In unserm „King Übü Örchestrü“ spielen wir zu neunt seit acht Jahren, und manchmal ist es überwältigend, aber zwischendrin gibt's noch sehr viel Leerlauf.

Nochmal Freejazz: Die alten Dreschflegel sind doch auch gesellschaftlich abgedrängt.

Möglich. Es gibt jedenfalls die Tendenz zum sogenannten „Patchwork“. John Zorn zum Beispiel...

...mit dem Sie auch schon gespielt haben...

..., ja, der verkittet ganz kleine Sachen, hunderte von Genres. Christmann und ich bleiben eher auf der Stelle, da bauen wir andauernd Strukturen auf und verwerfen sie aber sofort. Das liegt sicherlich an der Zeit, dieses Interesse, möglichst viel Raum und Terrain zu überqueren. Alles aufwerfen und gleich weiterziehn.

Trotzdem bleibt die Improvisation vom Hauch des Ekstatischen umwittert: als würde dann „etwas anderes“ das Instrument übernehmen.

Das ist mir auch ganz wichtig. Wir sind ja sofort an unseren Grenzen, auch den physischen. Wer beim Spielen das bisher geäußerte Material ernst nimmt,

„Das unterscheidet uns von diesen langweiligen Gruppendynamikern, wo alle bloß ein bißchen quieksen und schaben“

kann nun mal nichts hängen lassen: da erfordern oft kleinste Geräusche wahre Implosionen von Energie. Mich kostet jedes Konzert ein paar Liter Schweiß. Da wundern sich die Leute. Es beginnt aber erst dann, irre zu werden, wenn die Musik von alleine läuft, wenn man auf einmal Dinge tut, die man nicht kannte. Da auch nur hinterherzukommen, das erschöpft einen maßlos.

Kann es sein, daß dieses Abenteurertum dem Rest der Musikszene ein bißchen Angst macht?

Kann gut sein, daß uns auch deshalb der etablierte Betrieb so konsequent verdrängt. Ich sag immer, wenn Sachen von einem Komponisten aufgeführt werden: Macht doch dieselbe Besetzung mit ausgekochten Improvisatoren, die machen das dreimal so gut. Die haben ja ein viel besseres Gefühl für Raum und Timing als einer, der nach zwölfmal reiflicher Überlegung die Laufbahn des Musikers einschlägt und immer am Medium des Notenblatts klebt. Wie eine Improvisation überhaupt zustandekommt, wie das geht, das weiß so einer bis ins Grab nicht.

Jetzt purzeln drei Tage lang die Themen und die Konzerte. Was empfehlen Sie zum Schnuppern und Einsteigen?

Derek Bailey am Samstag sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Der ist von allem hier die Vaterfigur. Unglaublich, mit welcher Gelassenheit und Contenance dieser alte Knabe sich hinstellt und spielt: ein paar Akkorde, so trocken wir Schach, und die ganze Geschichte der Musik klingt an. Interview: Manfred Dworschak