Kurt Weill — jazzinspiriert und luftig

■ Die Sängerin Anirahtak und die Jürgen Sturm Band im Kunsthaus Tacheles

Seit einigen Jahren ist Kurt Weill in aller Munde und auf allen Tonträgern, fast schon so, daß er uns über wird. Das Besinnen auf deutsche Musiktraditionen aus dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts ist zum Pflichtprogramm geworden. Wehe dem, der keinen Weill- oder Eislersong im Repertoire hat. Highlights wie Demand and Supply von Dagmar Krause oder der 1985 erschienene Sampler Lost in the Stars sind darunter. Aber auch das unpassende Opernpathos einer Teresa Stratas oder verlemperte Versionen, denen die konservierte Künstlichkeit den letzten Lebensnerv nahm. Nicht begriffen haben viele, daß Weillsche Traditionspflege eben nicht gleichzusetzen ist mit der möglichst werkgetreuen Umsetzung seiner Musik. Der Charakter der Songs verliert sich aber auch leicht in überzogenen Arrangements und stilisiertem Vortrag. Nicht so bei den Young Gods auf ihrer Weill- Platte. Was sie mit den skelettierten Resten des Weillschen Musikkosmos gemacht haben, sucht ihresgleichen, ist kahl, brachial und doch unverkennbar Weill. Eine zweite gelungene Umsetzung ganz anderer Art kommt von Anirahtak und der Jürgen Sturm Band, die jetzt zum zweiten Mal in Berlin sind. Was dem Namen nach wie ein Relikt aus den 50er Jahren klingt, ist eine Aachener Band der 90er Jahre mit einer ungewöhnlichen Sängerin. Anirahtak, die große Unbekannte, deren Name spiegelverkehrt eher zu verstehen ist, hat 1989 zusammen mit der Jürgen Sturm Band ihre erste Platte gemacht, die nur wenig Beachtung fand. Anirahtaks Stimme umfaßt alle erdenklichen Gefühlssschwankungen, ist dabei kein bißchen veschnörkelt und maniriert, sondern kühl, wenn nötig oberflächlich und verschwendet keinen Ton. Ob auf dem Jahrmarkt, auf hoher See oder unter Affen, ihr dunkles Timbre liegt, in dynamischen Schattierungen, wie ein Hauch, aber dennoch klar über den von Jürgen Sturm neu arrangierten Songs. Anirahtaks eigentliche Wurzeln liegen in der Klassik (von der Gitarre zum Opernchor), ihre Liebe gilt dem Jazz. Sie hat, vor ihrer eigenen Interpretation der Weillsongs, keine besondere Beziehung zu seiner Musik gehabt, kaum andere Interpretinnen gekannt: Die von ihr gesetzten Akzente beweisen das. Jürgen Sturm, der Arrangeur und Gitarrist der Band, ist schon eher ein Eingeweihter. Er hat 1988/89 die Dreigroschenoper in Aachen inszeniert und Weill seinen Ideen gemäß musikalisch umgesetzt — jazzinspiriert und luftig, rhythmusbetont und pointiert. Er hat Anirahtak auch »entdeckt«, ihr in einem Songstandardprogramm versteckter Mackie Messer ließ ihn aufhorchen. Sonntag abend um 22 Uhr ist Anirahtak im Tacheles zu hören. Begleitet von der Jürgen Sturm Band mit Schlagzeug, Bass, Gitarre, Posaune und elektrischem Orchestrion (!!), wird sie ihre Weillsongs wie Fangnetze auswerfen. Anna-Bianca Krause

Sonntag, 16.11., 22 Uhr, Oranienburger Straße 53-56