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Patientenbibliothek im Siechtum

■ Keine Bücher mehr ans Krankenbett/ Pessimistische Diagnose für erfolgreiches Modell im Urban-Krankenhaus: Kein Geld für zwei Stellen, die den Patienten die Bücher ans Bett bringen

Kreuzberg. Viele gute Worte und wenig Geld — wegen fehlender Finanzen steht eine modellhafte Bibliothek im Krankenhaus vor der Reduzierung auf Mittelmaß. Ein Jahr nach dem Beginn der Ausleihe kann die Alfred-Döblin-Petientenbibliothek im Krankenhaus Am Urban nur mit halber Kraft arbeiten.

»Das Problem war von Anfang an, daß wir in die Lücke zwischen Kultursenat und Gesundheit fallen und deshalb kein Geld haben«, sagt Ludger Bült, Bibliothekar und »Vater« der Idee der Bibliothek im Krankenhaus, die mehr will als nur Ablenkung schaffen. »Im Krankenhaus liest man anders; natürlich hat man mehr Zeit, aber Themen wie Schmerz, Tod und Sucht im Roman stellen sich im Krankenhaus auch ganz anders dar.« Außerdem sei Lesen »ein autonomer Akt in der Medizinmaschinerie«, die einen von einer Untersuchung zur anderen hetzt.

Ein wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes ist der persönliche Kontakt zum Leser. »Es gibt so viele Leute, die nicht laufen können, die Scheu haben, hierherzukommen, die nicht wissen, daß das Angebot auch für sie gilt«, sagt Bült. Die Antwort darauf ist die Stationsausleihe: Mit dem Bücherwagen in die Krankenzimmer ziehen und mit Menschen sprechen, sie beraten. »Leseförderung« nennt sich das, im Gegensatz zu den zehn Prozent Lesern von Bibliotheken »draußen« erreichte die Döblin-Bibliothek jeden dritten. Und wenn dann nach einer Liebesgeschichte verlangt wird, jubelt der Bibliothekar seinen Kunden statt Konsalik schon mal Madame Bovary von Flaubert unter — mit Erfolg.

Bis September übernahmen drei ABM-Stellen vom Kreuzberger Sozialamt die Stationsausleihe. Nun sind die Stellen ausgelaufen, neue nicht in Sicht, und die Patienten müssen zu den Büchern kommen, in die Eingangshalle des Krankenhauses. Da Bült die Bibliothek allein führt, wird bei Krankheit oder möglichem Urlaub der Laden dichtgemacht. Die 6.000 Bände der Bibliothek hat der engagierte Bibliothekar im letzten Jahr durch Bettelbriefe und Verlagsspenden aufgetrieben. Viel geholfen hat dabei der Name Alfred Döblin, der sich mit dem Krankenhaus Am Urban verbindet. Der Berliner Arzt und Schriftsteller (Berlin Alexanderplatz) arbeitete hier von 1909 bis 1911, bis er aus dem Krankenhaus und später von den Nazis aus Deutschland verjagt wurde.

Der Schriftsteller könnte »seiner« Bibliothek noch einmal helfen: Ein Brief der »Internationalen Alfred- Döblin-Gesellschaft« an Kultursenator Roloff-Momin bittet um Unterstützung für die Bibliothek. Die wolle man gerne geben, so Juliane Funke von der Kulturverwaltung, vor allem Geld für neue Bücher könne man zur Verfügung stellen. »Grundsätzlich ist die Döblin-Bibliothek modellhaft für Berlin und muß erhalten werden, vor allem die enge Verbindung von Kultur und Kiez und die Erinnerung an den Namen Döblin.«

Entscheidend sind aber die Finanzen des Urban-Krankenhauses, da die Bibliothek von ihm getragen wird. Verwaltungsleiter Heinrich Lahmann sieht da schwarz: »Ich will nicht bestreiten, daß die Bibliothek sinnvoll und erforderlich ist, aber wir haben ein Defizit im Haushalt. Realistisch gesehen haben wir 1992 kaum eine Chance, 140.000 Mark für zwei Stellen aufzutreiben. Aber nach 92 kommt ja 93.« Bernhard Pötter

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