Der Neugierde erlegen

■ Verfassungsschützer informierten sich in Stasi-Unterlagen über sich selbst

Berlin. Bereits auf ihrer ersten Sitzung habe die G-10-Kommission nach Ansicht der Fraktionsvorsitzenden der Grünen/ Bündnis 90, Renate Künast, gegen geltendes Recht verstoßen. Als das Dreiergremium, das eigentlich zur Kontrolle der Telefonüberwachung des Verfassungsschutzes eingerichtet wurde, am 5. November zusammenkam, widmete es sich einer brisanten Lektüre. Stichprobenartig nahm sie Einblick in Unterlagen, die das Landesamt über die sogenannten Telefonzielkontrollaufträge der Stasi besitzt.

Hinter diesem umständlichen Namen verbergen sich etwa 5.000 Karteien und Akten über Westberliner Bürger, die das Ministerium für Staatssicherheit durch das systematische Abhören von Telefonen gewonnen hat. Die Verfassungsschützer interessierten sich vor allem für die Erkenntnisse, die ihre Ostberliner Kollegen über ihr Amt gewonnen hatten. Künast sieht darin den Straftatbestand des Geheimnisverrats erfüllt, mit dem sich nun die Staatsanwaltschaft beschäftigen müsse.

Das Landesamt für Verfassungsschutz war bereits im Frühjahr 1990 in den Besitz der Unterlagen gekommen, die angeblich von einem ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in den Westen gebracht wurden. Zwar hatte die Länderinnenministerkonferenz im Sommer 1990 beschlossen, daß alle Erkenntnisse vernichtet werden sollten, die auf solchem Wege über Bundesbürger gewonnen wurden, doch siegte bei den Berliner Verfassungsschützern die berufliche Neugierde.

Ungefähr 500 der 5.000 Unterlagen werteten sie aus. Im Oktober dieses Jahres setzte der Verfassungsschutzausschuß des Abgeordnetenhauses das Thema »Telefonzielkontrollaufträge« auf seine Tagesordnung für den 7. November. Die Unterlagen hatten Berlin jedoch mittlerweile Richtung Westdeutschland verlassen. Die Innenverwaltung hatte sie zwei Tage zuvor an den Generalbundesanwalt geschickt. Alexander von Stahl benötigte sie für ein Verfahren. Damit sind sie erst mal dem Zugriff des Verfassungsschutzausschusses entzogen.

Dem Kontrollrecht des Parlaments meinte die Innenverwaltung durch die Unterrichtung der G-10-Kommission zu genügen. Zu Unrecht, findet Künast, denn dieses Gremium sei lediglich zur Kontrolle der Telefonabhörmaßnahmen des Verfassungsschutzes eingerichtet worden. Für Abhörmaßnahmen anderer Einrichtungen, wie zum Beispiel der Justiz oder der Stasi, sei das Gremium nicht zuständig. Zwar sieht auch Innensenator Heckelmann diese Beschränkung. Er meint jedoch, daß es möglich sein müsse, die durch Sicherheitsorgane der DDR angeordneten Beschränkungsmaßnahmen gegen ehemalige Westberliner zu überprüfen. dr