Nur ein wenig beunruhigt

■ Ein Wanderer zwischen Schweden und dem Kongo

Der vierunddreißigjährige Literaturwissenschaftler I.S. fährt, ausgestattet mit einem Reisestipendium, nach Nigeria, um Schriftsteller zu interviewen. Er ist seit 20 Jahren nicht mehr in Afrika gewesen. Sein Vater war Leiter einer Missionsstation im Kongo. I.S. bezeichnet sich selbst als „Tourist in meinen Erinnerungen“. Er ist gewissermaßen zwischen zwei Welten aufgewachsen. Seine Kindheit hat er in der Missionsstation und in der schwedischen Schule verbracht. Er wird diese Orte am Schluß seiner Reise besuchen und nichts von dem wiederfinden, was er vielleicht gesucht hat — obwohl ihm keineswegs klar ist, was er gesucht haben könnte. In Afrika, als Sohn eines Missionars, war er in der Fremde, in Schweden, nach der Rückkehr, auch. Sein Leben ist geteilt. Er scheint sich, kaum in der nigerianischen Universität Ibadan angekommen, in einem leeren Raum zu bewegen. Er ist nicht „da“, denkt er häufig, nicht an dem Ort, an dem er sich befindet, auch nicht wirklich zwischen den Menschen. Er leidet unter den Symptomen einer permanenten inneren und äußeren Überanstrengung. Er glaubt, Gehirnblutungen zu bekommen. Die Hitze zermürbt ihn. Die Realität, auch die Realität seiner Erinnerungen, ist durch Reflexion nicht abzuwehren. Bilder steigen in ihm auf, überschwemmen ihn, höhlen ihn aus. Er fühlt sich schwach und gleichzeitig immer stärker angeregt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Selbstkritisch bemerkt er die Verengung, in die ihn sein „interpretierendes Denken“ geführt hat.

Hagerfors' Roman gehört nicht zu jenen Produktionen, in denen die bekannten Rätsel, inzwischen wieder vermehrt in Afrika und Asien entdeckt, noch einmal nicht gelöst werden. Es ist ein Roman über die Fremdheit im eigenen Land, über die Vertrautheit eines fremden Landes. Wenn I.S. an seine Frau und seine beiden Kinder in Schweden denkt, kann er sich kaum an ihre Gesichter erinnern. In seinem Kopf, in seinem Körper zerfällt die eigene Lebensrealität. In Träumen und halluzinatorischen Zuständen werden die Bruchstücke schief zusammengesetzt. Jedenfalls ist er in Bewegung, und Schweden erscheint ihm als ein Land, in dem sich gut leben läßt, wenn auch etwas taub, wie in Watte gepackt. I.S. weiß zu gut Bescheid über die Wirklichkeit eines afrikansichen Landes wie Nigeria, als daß ihm eine Idealisierung oder bloße Verurteilung aus der Höhe des europäischen Lebensstandards noch möglich wäre. Auch die Suche des vom Wohlleben ausgelaugten Besuchers nach dem Erlebnis des „ganz anderen“ kommt ihm abgeschmackt und zynisch vor. In der Universität lernt er Parker, einen englischen Politologen, und Jochen, einen deutschen Stadtplaner, kennen, die mit ihrer Entwurzelung als Europäer in Afrika gern ein wenig kokettieren. I.S., wegen seiner Auffälligkeit als großer, blasser, bebrillter Schwede mit steifen Bewegungen zur Schüchternheit verurteilt, hat für alle Fälle Heftpflaster, Malariaprophylaxe, einen Dosenöffner, Scherztabletten, eine Taschenlampe, zwei Präservative, eine Reservebrille und einen Kompaß mitgenommen. Manchmal spielt er wie ein Kind mit diesen Gegenständen. Seine Interviews mit Schriftstellern scheitern oder nehmen einen ganz unverhofften Verlauf, in dem er zum Befragten wird.

Hagerfors' Darstellung entspricht in ihrer Balance zwischen Innen- und Außensicht exakt der psychischen Grundsituation der Hauptfigur. Sie hält die kulturelle Spannung, in der sich I.S. bewegt, im Gleichgewicht, ohne ins Urteilen zu verfallen. Die Radikalität dieser Position, übrigens eine Radikalität, die nie eitel herausgestellt wird, zeigt sich vielleicht am deutlichsten darin, daß hier Schweden mindestens genauso fremd erscheint wie die afrikanischen Länder, die I.S. bereist. Sein inneres Exil ist Ausdruck seiner Lebensgeschichte und gleichzeitig Spiegelung der äußeren Widerstände, mit denen er es zu tun bekommt. Hagerfors' Prosa gelingt die Satire ebenso leicht wie die Registrierung feinster Mißverständnisse, die Naturbeschreibung und die Durchdringung der extremen kulturellen Unterschiede, in die sich I.S. — oft komisch — verwickelt sieht. Die melancholilsch-ironische Grundierung des Romans erlaubt dem Autor eine souveräne Haltung gegenüber den Erfahrungen der Hauptfigur und ihren Reaktionen und gibt sie doch bei aller Distanz nie dem Spott preis. Es ist eine liebevolle Ironie, nicht eine Ironie der Abwehr.

Hagerfors benutzt die Beschreibung afrikanischen Lebens nicht als Staffage für die Selbstdarstellung eines erschöpften Europäers. Bei ihm verschwindet der „Held“ nicht in abgelegenen Gebieten, verliert sich nicht in einer ihn restlos aufsaugenden Liebe, verkommt nicht, wird nicht totgeschlagen, und er kehrt auch nicht völlig verändert nach Hause zurück. Er ist nur ein wenig beunruhigt von der Dichte, dem Klang einer anderen Alltäglichkeit, einer total anderen Zeitauffassung und einer sozialen und politischen Realität, die schnell unter den einschlägigen Rubriken abzuhaken ihm immer weniger gelingen will. Der Roman verunsichert den Leser auf beiläufige Weise, während er ihn unterhält.

Lennart Hagerfors: Der lachende Kongelese.

Aus dem Schwedischen von Verena Reichel, Rowohlt-Verlag, 250 Seiten, geb., DM38,—