Rußland droht Tschetschenen mit Embargo

■ Nach der Rücknahme des Ausnahmezustandes will Jelzin die Kaukasus-Republik nun mit wirtschaftlichen Mitteln unter Druck setzen/ Republiken beraten über Unionsvertrag

Moskau (afp/taz) — Der Präsident der Tschetscheno-Inguschischen Republik, Djochar Dudajew, hat das Einlenken Rußlands im Konflikt um die nach Unabhängigkeit strebende Nordkaukasus-Republik begrüßt. In einem Interview mit der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur 'TASS‘ sagte Dudajew, er sei stets überzeugt gewesen, daß Jelzin bei Verhängung des Ausnahmezustandes am 9. November falsch informiert worden sei.

Jelzin hatte nach seiner Niederlage im russischen Parlament klein beigegeben und am Mittwoch abend per Erlaß seinen Repräsentanten in der Republik, Achmed Arsanow, entlassen. Der, so Jelzin, habe ihn falsch informiert und somit die Verhängung des Ausnahmezustandes provoziert.

Das russische Parlament hatte den Erlaß über den Ausnahmezustand des Präsidenten am Montag aufgehoben. Jelzin hatte die Entscheidung akzeptiert und sich verpflichtet, den Konflikt ausschließlich mit friedlichen Mittel zu lösen. General Dudajew hatte daraufhin am Mittwoch gefordert, Rußland müsse aber vor der Aufnahme von Verhandlungen die Unabhängigkeit seiner Republik und die Rechtmäßigkeit der Wahlen vom 27. Oktober anerkennen. Der Nationalistenführer hatte sich Anfang Oktober in der kleinen autonomen Kaukasusrepublik an die Macht geputscht und sich anschließend mit großer Mehrheit wählen lassen. Das russische Partlament will Verhandlungen jedoch nur „mit allen politischen Parteien“ der KaukasusRepublik führen, nicht aber mit „illegal gewählten Führern“.

Die Beschränkung Jelzins auf „friedliche“ Mittel bedeutet keineswegs ein Ende des Konflikts, betonte am Mittwoch Jelzins Vizepräsident Alexander Ruzkoj. Man werde, so Ruzkoj, gegen die Kaukasusrepublik eine Wirtschaftsblockade verhängen, wenn Dudajew sich weigere, eine Volksabstimmung über ihren künftigen Status abzuhalten. Ruzkoj gestand jedoch ein, daß es nicht einfach sein werde, die Blockade gegen die Republik durchzusetzen, die an Nord-Ossetien und Daghestan grenzt.

Unterdessen kündigte Dudajew an, das von ihm verhängte Kriegsrecht über die Kaukasusrepublik bleibe vorerst in Kraft.

Republiken beraten Unionsvertrag

Der Staatsrat der UdSSR ist gestern unter Vorsitz des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zu Beratungen über eine politische Union der Sowjetrepubliken zusammengetreten. Wie Gorbatschow der Moskauer Nachrichtenagentur 'Interfax‘ sagte, wollten die Mitglieder des Staatsrates mehrere, hauptsächlich von Rußland und Kasachstan eingebrachte Änderungsvorschläge zu dem Unionsvertrag erörtern. Darin gehe es vor allem darum, die Macht stärker als bisher zu dezentralisieren. Gorbatschow wollte sich nach eigener Aussage für eine „völlige Umstrukturierung der Macht“ in der UdSSR einsetzen und die Mitglieder des Staatsrats davon überzeugen, daß „Teile“ des Landes ohne ein gemeinsames Interesse am „Ganzen“ nicht überleben können.

Nach Angaben eines Sprechers des sowjetischen Präsidenten nahmen die Präsidenten der Ukraine, Kasachstans und Armeniens, Leonid Krawtschuk, Nursultan Nasarbajew und Lewon Ter-Petrossjan nicht an der Sitzung teil — Krawtschuk und Nasarbajew wegen der Vorbereitung von Wahlen in ihren Republiken, Ter-Petrossjan wegen einer Auslandsreise.

Gorbatschow hatte unlängst mit seinem Rücktritt gedroht, falls die Republiken den neuen Vertrag über die politische Union nicht bis Ende Dezember unterzeichnen sollten. „Was wir brauchen, ist eine Union souveräner Staaten, und wir brauchen sie jetzt“, betonte der Präsident. Zugleich hob er hervor, daß in dem Vertragsentwurf von einer „einzigen Außenpolitik“ und einer „einzigen Armee“ die Rede sei. Beobachter rechnen damit, daß die Republiken mit zunehmendem Vertrauen in ihre Souveränität weniger Bedenken gegen eine unionsweite Koordination der Außen- und Verteidigungspolitik vorbringen werden. anb