Drei Jahre Volksfront

■ Alltagsprobleme dominieren die neue Souveränität

Münster (taz) — Die Perestroika durchzusetzen und die Souveränität Lettlands im Rahmen einer föderal gestalteten Sowjetunion zu erkämpfen, war sie 1988 angetreten: Ereicht hat Volksfront Lettlands tatsächlich erheblich mehr. Das Land ist unabhängig geworden und international anerkannt. Scheinbar schließt sich heute ein Kreis, denn die Volksfront Lettlands kehrt heute zu ihrem vierten Kongress an den Gründungsort zurück. Drei Jahre erst sind vergangen, doch seither sind alle Verhältnisse umgestürzt.

Seit dem gescheiterten August- Putsch ist die Kommunistische Partei aufgelöst und das Haus in den Besitz der Republik Lettland übergegangen. Erst vor zwei Jahren, nach dem Lavieren Gorbatschows und den blutigen Ereignissen in Tblissi, legte sich die Bewegung auf eine Loslösung von der UdSSR fest. Der Sieg der Volksfront bei den Wahlen im Frühjahr 1990 und die vom lettischen Parlament am 4. Mai 1990 verabschiedete Unabhängigkeitserklärung mündeten in einen unüberwindlichen Konflikt mit der inzwischen erstarrten KP. Jetzt, nachdem der äußere Druck weggefallen ist, fordert der graue Alltag seinen Tribut.

Jetzt geht es darum, die gewaltigen sozialen und ökonomischen Probleme zu lösen. Unterschiedliche Interessen treten hervor, und es wird in der Bewegung offen diskutiert, ob es nun nicht an der Zeit sei, das Zweckbündnis Volksfront zugunsten von eigenständigen politischen Parteien aufzulösen. Die Delegierten müssen sich jetzt um die organisatorischen Strukuren der Bewegung, über das Verhältnis zu Staatsmacht und Institutionen der Selbstverwaltung kümmern. Als aussichtsreichster Kandidat für den Vorsitz der Volksfront gilt der amtierende Romualds Razuks. Und der will ein Auseinanderfallen der Bewegung unbedingt verhindern. Die Zeit für die Bildung von Parteien sei noch nicht reif. rob