Pazifisten in Serbien müssen ab an die Front!

■ Serbische Behörden zwangen mehrere Friedensaktivisten in Wojwodina, Kosovo und Südserbien zum Armeedienst

Belgrad (taz) — Der Fall Nenad Cank ist nicht der einzige Fall dieser Art, aber ein besonders skandalöser: Der Vorsitzende der „Sozialdemokratischen Liga“ für die Provinz Wojwodina wurde letzte Woche in Novi Sad verhaftet und für die Front mobilisiert. Seine Freunde glauben nun, im vordersten Kampfabschnitt von Vukovar werde er von der Bundesarmee „bewußt in den Tod geschickt“. Stojan Cerovic, Sprecher der gesamtjugoslawischen Friedensbewegung zur taz: „Wir schließen nicht aus, daß Cank auf diese Weise liquidiert werden soll.“ Nenad Canks Verbrechen: Er hatte im Namen seiner Partei am 5. November in der Kleinstadt Senta eine Friedensdemonstration organisiert und zusammen mit dem „Demokratischen Bund der Ungarn“ zu einem Referendum gegen den Krieg in Kroatien aufgerufen.

Dieses Friedensreferendum soll in den kommenden Tagen in der gesamten Provinz Wojwodina abgehalten werden, wo Serben, Kroaten und eine bedeutende ungarische Minderheit bunt zusammengewürfelt leben. Canks Argumentation: „Wir Bürger der Wojwodina wollen damit zeigen, daß wir nicht mehr länger das sinnlose Sterben wenige Kilometer von uns entfernt in Ostslawonien, Vukovar und Osijek hinnehmen können, ein brutaler Krieg einer entfesselten Armee gegen eine zivile Bevölkerung.“ Das waren Worte, die offenbar zu weit gingen.

Die Antwort der serbischen Behörden, die seit 1989 die ehemals politisch autonome Provinz gleichschalteten, kam prompt: „Dieser sogenannte Antikriegsprotest muß aufs Schärfste verurteilt werden, denn dadurch werden die faschistischen Horden in Kroatien und deren Verbündeten in Europa offen unterstützt.“ So die Pressemitteilung, die keine der großen serbischen Tageszeitungen vergaß, abzudrucken. Selbst der Hinweis, Cank sei verhaftet und zur Strafe an die Front geschickt worden, fehlte nicht.

Cank ist nicht der einzige, den ein solches Schicksal traf. Nach Presseberichten widerfuhr ähnliches dem Friedensaktivisten Janos Sabo und „weiteren Pazifisten“ aus den Gemeinden Adi, Senta und Potisja. Drei Orte, die unweit des ostslawonischen Kriegsschauplatzes auf der linken Donauseite liegen, von wo aus man nachts die Flugzeugangriffe auf Vukovar und Osijek hautnah miterleben kann. Doch nicht nur in der Wojwodina wird auf Pazifisten Jagd gemacht. Nach einem Pressebericht der Belgrader Zeitung 'Borba‘ wurden im südserbischen Kragujevac vier Jugendliche mit Namen Milet Pavlovic, Jovan Markovic, Milivoj Milicevic und Milos Milosevic ähnlich wie Nenad Cank behandelt.

Stojan Cerovic, Sprecher der jugoslawischen Friedensbewegung, glaubt aber zu wissen, daß nicht nur auf serbischer Seite unliebsame Kritiker mit Vorliebe für die Front rekrutiert werden, sondern auch in Kroatien. Für ihn sind Parallelen zwischen dem serbischen „Milosevic-Regime“ und dem des kroatischen Präsidenten Tudjman augenscheinlich: „In Kroatien kommt noch dazu, daß die dortige Regierung auf einen gerechtfertigen Verteidigungskampf hinweisen kann und jeder, der nicht zu den Waffen greift, sofort als Serbenfreund verunglimpft wird“, so Cerovic. Namen von kroatischen Pazifisten, die an die Front geschickt wurden, dürfe er nicht nennen, da die Angehörigen ansonsten Repressionen zu erwarten hätten.

Ähnlich vorsichtig äußerte sich vor wenigen Tagen in einem Interview auch der kosovo-albanische Schriftsteller Adem Demaci, der selbst als Gewissensgefangener 25 Jahre in jugoslawischen Gefängnissen gesessen hatte. Er wisse von Fällen, wo aufmüpfige Albaner „zur Strafe“ nicht ins Gefängnis, sondern an die Front verschickt wurden. Auch Demaci weigerte sich, in diesem Zusammenhang Namen zu nennen. Roland Hofwiler