Asylbewerber: Kein Interesse an Rückfahrticket

Nachdem sich die Asylbewerber der Shalom-Gemeinde in Norderstedt gestern morgen geweigert haben, nach Greifswald zurückzukehren, sollen sie nun dezentral in Unterkünften in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht werden  ■ Von Jürgen Oetting

Norderstedt (taz) — „Das Thema Greifswald ist erledigt.“ Das erklärte der Pressesprecher des schleswig-holsteinischen Sozialministeriums, Ralf Stegner, gestern um 11 Uhr vor der Norderstedter Shalom- Kirche. Wenige Minuten zuvor waren zwei Busse leer wieder abgefahren. Sie sollten die 50köpfige Gruppe der Asylbewerber, die jetzt seit fast zwei Wochen im Gotteshaus der Hamburger Randgemeinde campiert, zurück in die vorpommersche Stadt bringen, die sie vor zwölf Tagen fluchtartig verlassen hatte. Doch nicht ein einziger Ausländer war eingestiegen. Die einzige Alternative ist jetzt, laut Stegner, eine dezentrale Unterbringung in verschiedenen Unterkünften des Landes Mecklenburg- Vorpommern. In Schleswig-Holstein will die Kieler Landesregierung die Flüchtlinge nach wie vor nicht dulden.

Stegner war gemeinsam mit den beiden Autobussen eingetroffen und trat den Flüchtlingen und ihren Unterstützern gegenüber als Unterhändler der Landesregierung auf — Staatssekretär Claus Möller, der bislang alle Verhandlungen mit den Flüchtlingen geführt hatte, war diesmal in Kiel geblieben. Die Schlappe mußte sich also ein Rangniedrigerer vom Hamburger Rand abholen. Gemeinsam mit Shalom-Pastor Helmut Frenz und Dolmetschern ging Stegner von Raum zu Raum, ließ noch schlafende Flüchtlinge wecken und erklärte immer wieder: „Guten Morgen. Draußen stehen die Busse nach Greifswald bereit und können nur 30 Minuten warten. Dies ist die letzte Möglichkeit, was Greifswald betrifft. Sie wissen, daß die andere Möglichkeit eine dezentrale Unterbringung in Mecklenburg ist.“ Die Asylbewerber reagierten kaum, manche drehten sich einfach um und schliefen weiter.

Der Abend zuvor war anstrengend gewesen. Am Mittwoch hatte es eine anonyme Bombendrohung gegeben, die Shalom-Kirche war kurzfristig evakuiert worden. Erst nachdem die Polizei alle Räume dursucht hatte, konnten die Flüchtlinge wieder in das Gebäude zurückkehren.

Nach seiner erfolglosen Mission stellte sich Stegner den zahlreichen vor der Kirche versammelten Journalisten und skizzierte die weitere Entwicklung so, wie die Kieler Landesregierung sie erzwingen will. Zwar könne man auch an der Förde nachvollziehen, daß die Flüchtinge nicht zurück nach Greifswald wollten. Dort waren sie am vorletzten Wochenende von mehreren hundert Hooligans überfallen worden und anschließend von westdeutschen Unterstützern zurück nach Schleswig- Holstein gebracht worden. Da aber das Asylprüfungsverfahren nur in Mecklenburg-Vorpommern abgewickelt werde — und zwar noch in diesem Monat —, würden die Menschen dorthin gebracht.

Doch die Flüchtlinge wollen sich an keinen einzigen ostdeutschen Ort expedieren lassen. Ihre Odyssee hatte vor acht Wochen mit einer Kirchenbesetzung im mittelholsteinischen Neumünster begonnen, mit der sie eine Verteilung über Heime in den fünf neuen Bundesländern verhindern wollten. Stegner schloß gestern staatliche Gewalt zur Durchsetzung des Transportes nach Mecklenburg nicht aus, betonte aber: „Die Landesregierung respektiert das Hausrecht der Kirche.“ Diese Äußerung würzte er mit Kritik an den autonomen Unterstützern der herumgeschubsten Ausländer. Die wollten, so der Sprecher des sozialdemokratischen Sozialministers Günther Jansen, mit ihrem Handeln lediglich „den Staat herausfordern“.

Offener Brief der Grünen an Engholm

In der Norderstedter Kirche sind die Asylbewerber vorerst vor staatlichen Zugriffen geschützt. Gestern war jedoch offen, wie lange noch. Shalom-Pastor Helmut Frenz (er war viele Jahre Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international) erklärte: „Zu den heutigen Ereignissen werde ich keinen Kommentar abgeben. Das sind Vorgänge zwischen zwei Landesregierungen und den Flüchtlingen. Wie es hier weiter geht, kann ich noch nicht sagen.“ Der Kirchenvorstand will bis spätestens heute abend über die nächsten Schritte beraten.

Während Stegner und Frenz der Presse Rede und Antwort standen, entrollten einige der Flüchtlinge ein Tranparent, auf dem es hieß: „Bye bye, Adieu, Ciao — keine Deportierung in die Ex-DDR.“ Und das Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen, Angelika Beer, die seit zwei Monaten zu den Unterstützern der Asylbewerbergruppe gehörte, verteilte Offene Briefe an den Ministerpräsidenten Björn Engholm und seinen Sozialminister Jansen. Darin heißt es: „Sie sind an einem Punkt angelangt, an dem Sie indirekt die Gewalt der Rechtsradikalen und den Rassismus benutzen, um diese Menschen gegen ihren Willen aus Schleswig-Holstein zu vertreiben. Die Einhaltung von Quoten, die Einhaltung eines ,Allparteienkompromisses‘, darf nicht länger auf Kosten von Menschen ausgetragen werden. Hören Sie auf, Menschen als Rechtfertigung für ihre verkorkste Asylppolitik zu instrumentalisieren.“ Jansen hatte der Grünen in den vergangenen Tagen mehrfach vorgeworfen, sie instrumentalisiere die Flüchtlinge für ihre politischen Absichten.