Recht auf Stasi-Akte beschlossen

Das Stasiaktengesetz wurde mit großer Mehrheit im Bundestag verabschiedet/ Ablehnung nur vom Bündnis 90/Grüne/ Presseschelte im Wasserwerk/ Die ersten reden bereits von einer Novellierung  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Der deutsche Bundestag meldet Vollzug: Das Stasi-Unterlagengesetz (StUG) ist gestern in großem Konsens zwischen den Koalitionsfraktionen und der SPD verabschiedet worden. Ablehnungen und Enthaltungen gab es lediglich aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen. Aus der Koalitionsdisziplin scherte als einziger der FDP-Abgeordnete Hans-Joachim Otto aus: Trotz der noch in letzter Minute eingebauten Änderungen, die die in den letzten Wochen hart kritisierten „Maulkorb“-Regelungen für die Presse abmildern sollen, sah er die Grundlagen der Pressefreiheit bedroht.

Das in zweiter und dritter Lesung beschlossene Gesetz soll nun ein brisantes Stück Vergangenheit regeln: den staatlichen, öffentlichen, persönlichen und geheimdienstlichen Umgang mit den sechs Millionen Aktenbündeln der Staatssicherheit. Nur in Maßen hielt die Debatte den Ansprüchen stand, die sich mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes vor allem für die Opfer verbinden. Auch wenn in den Reden vieler Abgeordneter die schwierige Vergangenheit noch mal hochkam, im ganzen war es nur der Schlußpunkt einer langwierigen Arbeit.

„Es sind Unterlagen, die dem Staat gehören und die sich zunächst in staatlicher Hand befinden“, so Johannes Gerster, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Das so beschriebene Selbstverständnis ist aber bezeichnend für die Auseinandersetzungen um das Gesetz. „Das ist meine Akte, das ist ein Stück meines Lebens“, heißt dagegen die andere Haltung, die den Anpruch der Opfer auf die Stasi-Unterlagen begründet. Ingrid Köppe vom Bündnis 90/Die Grünen bescheinigte dem Gesetz, daß „die behördlichen Nutzungsinteressen gegenüber den Opferrechten eindeutig den Vorrang erhalten“ haben. Sie erinnerte an den Ausgangspunkt des Gesetzesvorhabens, an die Forderungen der Bürgerbewegungen, die Akten zu sichern und öffentlich zugänglich zu machen. Obwohl es mit der Verabschiedung des von der CDU, FDP und SPD eingebrachten Gesetzentwurfes nun endlich ein grundsätzliches Einsichtsrecht für die Stasi-Opfer gibt, sieht Köppe dieses Recht so eingeschränkt, daß sie ihre Zustimmung verweigerte.

Die Änderungsanträge des Bündnisses, darunter auch der zur Streichung aller geheimdienstlichen Nutzungsbefugnisse, wurden erwartungsgemäß abgelehnt. Wolfgang Ullmann, Bündnis 90-Abgeordneter, der sich wie Konrad Weiss und Gerd Poppe bei der Abstimmung der Stimme enthielt, war nicht der einzige, der baldige Novellierung prognostizierte. Ähnlich äußerte sich der CDU-Mann Hartmut Büttner („keine abgeschlossene Bibel“). Der FDP-Abgeordnete Jürgen Schmieder ergänzte: „Eigentlich ist dieses Gesetz ein Experiment.“

Für die Union verteidigte Gerster in scharfer Form die Beschränkung der Medien. Deren ungehinderter Zugriff auf die Stasi-Akten würde „sämtliche Grundsätze unseres Rechtssystems durchbrechen“, da die „Giftküche mit Stasi-Unterlagen“ keine allgemein zugängliche Quelle im Sinne der garantierten Pressefreiheit sei. Auch Burkhard Hirsch (FDP) nutze die Gelegenheit zur Presseschelte. Er warf den Medien vor, in der Berichterstattung über das Gesetz so getan zu haben, „als ob wir eine Bande von Verschwörern seien“. Wer das Privatleben von Menschen schütze, übe aber keine Zensur aus.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Thierse würdigte besonders, daß es mit dem Gesetz erstmals in der deutschen Geschichte gelinge, die Akten eines Geheimdienstes zu öffnen und sie den Opfern zugänglich zu machen. Thierse wies Befürchtungen zurück, es könnte nach dem Zugang der Opfer zu ihren Akten und dem Bekanntwerden von Spitzel-Namen „Rachefeldzüge“ geben. Der SPD- Mann erwartet statt dessen „ein massenhaftes Gesprächsbedürfnis“, da die Opfer erfahren wollten, warum sie von Freunden und Bekannten an den Stasi verraten wurden.