Im "Titanic" verwischen die Konturen des Comic

Im »Titanic« verwischen die Konturen des Comic

Obwohl sich inzwischen die Berliner Tanzszene in den Osten verlagert hat, erscheinen die allseits angesagten Läden, die mittlerweile auch vom 'Spiegel‘ entdeckt wurden, eher wie Inseln im unbekannten Land. Wahrscheinlich ist es auch nicht ganz zufällig, daß der »Tresor«, »WMF« oder der »Walfisch« nahe der ehemaligen Grenze warten; da können Westberliner Amüsierwillige schnell wieder zurück ins Bekannte. Wer sich weiter traut, wird nicht selten — von Ex-Westlern — als »Westjetsetter« beschimpft.

Früher lag das Ziel derer, die im Ostteil was erleben wollten, am Kollwitzplatz. Das »Cafe Westphal«, das lustigerweise in einem aktuellen Reiseführer mit der Abkürzung »WC« geführt wird, war Ort zahlreicher Anschlußwünsche, die nach der Renovierung im Sommer eine Weile — vielleicht auch einen Tag, wie einer am Tresen behauptet — mit langen Wartezeiten abgeblockt wurden. Jetzt braucht sich das »Westphal« nicht mehr zu schützen.

Die »Krähe« schöpft seit Sommerende hundert Meter weiter die Gäste ab, die ins »CW« nicht mehr reinpassen. Ein Bier jagt dort das nächste, um diejenigen zu widerlegen, die noch vor ein paar Monaten meinten, sich in der Presse über die KellnerInnen beschweren zu müssen.

Dr. Kuttner kommt vorbei. Überall taucht der quirlige Chef der »Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot« auf und zieht die Fäden. Er kennt jeden. An mehreren Orten scheint er gleichzeitig zu sein. Während er in den Kaffeestuben am Alexanderplatz an einem Solikonzert für Honecker bastelt, sitzt er gleichzeitig ein paar Kilometer weiter in der Winsstraße in der »Titanic« im trauten Gespräch mit einigen der immer zahlreicher werdenden Mediendissidenten der Stadt. Zuweilen taucht Kuttner auch als Duo oder Troika auf. Manche sprechen dann auch von Meyer.

Ein paar Röhren an der Decke des Lokals unterstreichen seit August nicht nur den Maschinenraumcharakter des gemütlichen Lokals, sondern auch die Vernetzungsbestrebungen der FreundInnen. Ein Modell auf dem Tresen erinnert an den untergegangenen Vergnügungsdampfer. Ein paar Tische weiter sitzt der Berichterstatter einer Frauenzeitschrift, der sich nicht ganz sicher ist, ob er Verrat begeht, wenn er über seine Lieblingskneipen schriftlich Auskunft gibt. Angeblich sollen auch Fernsehfritzen vorbeikommen, um einen Bericht über die »Prenzlauer-Berg-Szene« und Sascha Anderson mit Bildern aus der »Titanic« zu illustrieren.

Ein buntgemischtes Publikum aus Anwohnern, Szene und Nachtwanderern schaut sich tief in die Augen oder auch schlechtgelaunt vorbei. Und man weiß nicht genau, wie sich das Bild der Kneipe unterschiede, wenn nicht die bekannten die unbekannten Gäste in den Hintergrund rücken würden.

All das, was hinter Comiczeichner Holger Fickelscherer liegt, erscheint verwischt. Auf zwei Billardtischen klackern leise die Kugeln, während der berühmte Zeichner nach »Renate« sucht. »Renate« ist der Name eines kleinen, sympathischen Comicmagazins.

»Doch wer ist Renate wirklich?«, grübelt der Künstler von Bier zu Bier und sucht die Frau hinter dem Namen zu entdecken. Ein paar Skizzen versuchen sie dingfest zu machen. Sie entzieht sich und der Blick auf den Raum verengt sich, bis nur noch Bier und Tisch, Zigarette und Aschenbecher von der Kneipe übrigbleiben. »Tex« nur, der Chef, sagt beim Bezahlen, daß seine Kneipe gut sei, weil sie einfach gut sei.

Titanic, Berlin-Prenzlauer Berg, Winsstraße 30, O-Berlin 1055, Öffnungszeiten 10 bis 4 Uhr.