Wolf, übernehmen Sie!

Berlin (taz) — „Es wird immer Menschen geben, die andere Menschen überwachen“, wagte Markus Wolf kürzlich einen optimistischen Blick in die Zukunft seines Gewerbes. Doch der gute Mann könnte sich täuschen, die Zunft der Spione befindet sich in einer tiefen Krise.

Bereits vor zwei Jahren schlug das KGB Alarm. Nicht lange zuvor hatten die Genossen aus der Moskauer Kältekammer die US-Botschaft noch derart bravourös verwanzt, daß sie abgerissen werden mußte, nun aber packte die einstmalige Bastion des Bösen nackte Existenzangst. Aus Sorge vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit wurde ein Pressesprecher ernannt, der den schlechten Ruf des KGB retten sollte. Hilfloser geht's nimmer! Kaum besser erging es jedoch der CIA, deren neuer Boß kürzlich eine vollständige Durchleuchtung in aller Öffentlichkeit über sich ergehen lassen mußte. Der gläserne Agent, welch ein Niedergang!

Und nun hat es auch die deutsche Geheimdienstlergilde erwischt. Vorbei die fetten Jahre des kalten Krieges, als BND und Stasi aufeinander einspionierten, daß die Wänden wackelten. Beim BND droht Personalabbau, eine Flut entlassener Maulwürfe wird sich bald auf die Straßen ergießen und das Land mit einer Welle von Erinnerungen, Enthüllungen und Geheimnissen überschwemmen, von denen niemand mehr etwas wissen will. Man sieht sie förmlich vor sich, die Demonstrationen verzweifelter Ex-Schnüffler mit Transparenten wie „Keine Schließung der dunklen Kanäle“, „Rettet die Wanzen“, oder „Die beste Tat ist der Verrat!“. Zwielichtige Gestalten werden an Straßenecken lungern und aus Langeweile kleine Kinder auf dem Schulweg observieren oder den automatischen Weckdienst anzapfen. Weder dicke Spitzelrenten noch Rehabilitationszentren für zweifach arbeitslose Doppelagenten, Undercover-Pensionäre und bulgarische Ex-Regenschirmmörder werden die Krise des Spionagetums beheben können. Selbst einzelne Verzweiflungsaktionen wie das Überbordwerfen von Großverlegern sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Hier braut sich ein Gewaltpotential zusammen, das sich eines Tages verheerend auswirken könnte. Man muß diese Leute im Auge behalten. Markus Wolf, übernehmen Sie! Matti Lieske