In der Fremde zu Hause

TV-Marathon: 3sat widmet den Sonntag dem Thema Exil  ■ Von Christa Thelen

Die ZDF-Schwester 3sat hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein wenig Licht in den Einheitsbrei über „den Ausländer“ an sich zu bringen. „Das Fernsehen ist ein Ort der kollektiven Erinnerung und Mahnung in einer Welt, in der immer mehr Menschen im Exil leben.“ Mittels dieser Vorgabe begann man in der Redaktion Kleines Fernsehspiel vor einigen Monaten mit der Konzeption eines sogenannten Titeltages. Unter dem programmatischen Nenner Fremde Heimat hat man zwölf Stunden lang erzählerische Formen und Inhalte zum Thema Exil gebündelt, um Nuancen über das Leben derjenigen darzulegen, die in ihrer Heimat nicht zu Hause sind. Eine Programmreihe zum Thema Fremdsein als Methapher enstand.

Lange vor den Überfällen in Hoyerswerda, Saarbrücken und anderswo fragten sich Redakteure und Redakteurinnen nach Fremdenhaß und dem Leben im Exil. „Wir wollten Grundlagenforschung betreiben, wollten die Bedingungen, unter denen Ausländer leben, greifbarer machen“, sagt Doris Hepp, Redakteurin beim Kleinen Fernsehspiel. Vorbildhaft wurde vorexerziert, welche Variationsmöglichkeiten sich im Fernsehprogramm verbergen. Denn nicht nur die politische Notwendigkeit, auch eine gewisse Programmschema-Müdigkeit ist für den Titeltag verantwortlich. Das öffentlich- rechtliche Fernsehen ist zu einem Abteilungsfernsehen geworden. Hier will man mit dem zwölfstündigen Beitrag gegensteuern: Nicht nur inhaltlich, auch formal soll das Medium wieder ein Spannungsverhältnis bekommen.

Niemand dachte bei der Programmkonzeption allerdings daran, daß jemand von Mittag bis Mitternacht Fernsehen guckt. Zwar hat man sich bemüht, einen dramaturgischen Bogen zu spannen, der weder Langzeitgucker ermüdet noch die kurzen Momente der Besinnung vergißt. Doch Elemente wie die Beiträge der ZDF-Auslandskorrespondenten sollen auch kurzzeitigen Gästen einen in sich abgeschlossenen Beitrag zum Thema Fremde Heimat mit auf den Weg geben. So ist der Titeltag eine Herausforderung geworden, für die Organisatoren und die Zuschauer gleichermaßen.

Mit einigen Wiederholungen Kleiner Fernsehspiele, darunter Jan Schüttes Spielfilm Drachenfutter und Ostkreuz von Michael Klier, hat man künstlerisch anspruchsvolle Filme im Programm plaziert, die sich in Form und Inhalt jedoch auch einem großen Publikum erschließen. Schüttes Werk ist beinahe ein Krimi, der das Thema Asyl und Exil anhand hervorragender Schauspieler personifiziert. In all seiner manchmal dokumentarisch wirkenden Tristesse gelingt es dem Film, Ausländer in ihrer ganzen Normalität zu zeigen. Drachenfutter spielt hier und heute, er befriedigt das Bedürfnis nach Unterhaltung, ohne sein politisches Ansinnen aus den Augen zu verlieren. Ein Beitrag zur Völkerverständigung.

Gegen die Leichtigkeit, mit der Schütte sein Thema handhabt, ohne dabei leichtfertig zu sein, nimmt sich Moskau — Petuschki wie ein etwas schwerfällig geratener Schulfunk- Beitrag aus. Jens-Carl Ehlers verfilmte das Poem „Die Reise nach Petuschki“ von Wenedikt Jerofjew, das in der Sowjetunion lange verboten war und nur als handgeschriebenes Manuskript kursierte. Ehlers Inszenierung besitzt wenige ausgesprochen filmische Momente. Mit ihrem starken künstlichen Licht und der der Handlung innewohnenden Chronologie erinnert sie an die Dramaturgie des Theaters. Ein Zug, der Mond, ein Betrunkener. Er flieht und die Kamera flieht mit ihm auf einer endlos scheinenden Zugreise. „Alle Menschen, die für Rußland wichtig waren, haben gesoffen wie die Löcher“, erfahren wir. Ehlers Protagonisten haben die Flucht nach innen angetreten, in ihren hochprozentigen Dialogen fallen alle Grenzen, denn gesoffen wird schließlich überall.

Dietmar Hochmuths Dokumentarfilm In der Fremde zu Hause zeigt die Situation ehemaliger DDR- Übersiedler, denen die Vereinigung vor allem Fremdheit brachte.

Andere Programmelemete sollen die unterschiedlichen Aspekte von Freiheit und Exil vertiefen. Drei Gesprächsrunden mit Exilanten und Immigranten aus aller Welt markieren drei verschiedene Aspekte des Fremdseins: das Weggehen, das Dableiben und das Zurückkehren. Man will den Zuschauer an neue Sehweisen heranführen, die einem Großteil der Deutschen, wie die aktuellen Ereignisse zeigen, bitter nötig täten. Zu diesem Zweck wurde auch Michael Curtiz' Casablanca ins Programm aufgenommen. Sechzehn der zwanzig Hauptdarsteller in dem amerikanischen Film waren Europäer, die Komparsen waren es, der Regisseur Curtiz alias Kerétsz und der Komponist Max Steiner. Nicht nur deshalb ist der Film unter dem Motto Fremde Heimat bestens aufgehoben. In den fünfziger Jahren wurde Casablanca dem deutschen Publikum gekürzt präsentiert: gekürzt um alle deutschen Uniformen und in einer grotesken Synchronfassung, die das Exil eliminierte und die Vergangenheit gleich mit.

Hieran will man mit bei 3sat erinnern und die Vergessenden mahnen. Zwischen Rick's Café und Theo Angelopoulos' Film Reise nach Kythera geht dem Publikum hoffentlich auf, daß der Fremdenhaß nicht nur in einer maßlosen Selbstüberschätzung wurzelt, sondern auch die Sehnsucht nach dem Fremden einschließt, wie Millionen von Urlaubern täglich beweisen. Und daß die Form des Hasses, die den Fremden in Deutschland entgegenschlägt, auch ein Abbild ist. Nämlich des Umgangs der Deutschen mit sich selbst.