Bewährung für Stasi-General Schütt

Generaloberst der DDR-Auslandsaufklärung auf freiem Fuß/ Lange Haftstrafen für seine Agenten  ■ Aus München Bernd Siegler

Das Bayerische Oberste Landgericht in München verurteilte die Brüder Alfred und Ludwig Spuhler wegen besonders schweren Landesverrats zu zehn bzw. fünfeinhalb Jahren Haft. Ihre Agentenführer, der ehemalige Generaloberst der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Harry Schütt, und sein Offizier Günter Böttger können das Gericht dagegen als freie Männer verlassen. Sie erhielten wegen Beihilfe zum Landesverrat Bewährungsstrafen von zwei Jahren bzw. 14 Monaten. Entscheidend für die Strafbarkeit von Schütts und Böttgers Tun war für den Senatsvorsitzenden Erwin Brießmann, daß im Einigungsvertrag Fragen zum Schutz der Angehörigen der DDR-Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) ausgeklammert worden seien. Das Parlament des „souveränen Staats DDR“ habe diesem von beiden Seiten ausgehandelten Vertrag zugestimmt. Die Bundesrepublik habe die Rechtsnachfolge der DDR angetreten, damit sei die Gesetzlage eindeutig.

Nachdem Ende Juli ein vor dem Berliner Kammergericht anhängiges Verfahren gegen den letzten DDR- Spionagechef Werner Großmann ausgesetzt und zur Entscheidung an das Bundesverfassungsgericht verwiesen worden war, kam dem Prozeß in München die Bedeutung eines Pilotverfahrens gegen Stasi-Funktionäre zu. Ungeachtet der BVG- Entscheidung, inwieweit die HVA überhaupt Tätigkeiten entfaltet habe, die sich von denen anderer Geheimdienste wie z. B. dem Bundesnachrichtendient (BND) unterscheiden, ob also eine Bestrafung von Ost- Spionen gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, wurde der Prozeß in München von einen Beschluß des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ermöglicht. Demnach hätten die „bösen“ Spione der HVA die äußere Sicherheit der BRD bedroht, die „guten Spione“ des BND diese aber geschützt.

Im Mittelpunkt der Anklage in München standen die Brüder Alfred und Ludwig Spuhler. Über 16 Jahre hinweg hatten diese ihre Agentenführer Böttger und Schütt mit — so das Gericht — einer „ungeheuerlichen Materialmenge“ versorgt. Das verratene „Gesamtwissen des BND über den Warschauer Pakt und die DDR“ sowie die Informationen über BND-Struktur und -Quellen hob Richter Brießmann in den Rang von „Staatsgeheimnissen“. Seitenhiebe auf den BND konnte sich Brießmann nicht verkneifen. Als „besonders mildernden“ Umstand für die Brüder bewertete er den „unglaublichen Zustand“ der Sicherungsmechanismen des BND, da die beiden über 16 Jahre hinweg einen derart „massiven Verrat“ begehen konnten.

Da Schütt und Böttger die Agententätigkeit der Spuhler psychologisch, finanziell und organisatorisch unterstützt hätten, seien beide der Beihilfe zum Landesverrat schuldig. Daß die MfS-Bediensteten auch jetzt nach der Wiedervereinigung verurteilt werden können, steht für das Bayerische Oberste Landgericht außer Frage. Das deutsche Strafrecht gelte nach dem Beitritt der DDR weiter, auch wenn eine Änderung der Gesetze politisch erforderlich erscheine, so Brießmann. Da der Beitritt der DDR ein „einseitiger parlamentarischer Willensakt des souveränen Staats DDR“ und der Einigungsvertrag keine „einseitige Angelegenheit“ der Bundesrepublik gewesen wären, gebe es an der Strafverfolgung von MfS-Angehörigen keinen Zweifel — zumal eine irgendwie geartete Fürsorgepflicht für sie im Einigungsvertrag nicht festgelegt ist. Brießmann sieht in dem Urteil auch keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes. Mit dem Beitritt entfalle schließlich nur das Schutzbedürfnis der DDR vor Spionage, nicht jedoch das der BRD.