Ampeldebatte

■ Chancen einer ungeliebten Koalition

Die taz bietet diesen Platz täglich für Zwischenrufe zu den laufenden Ampelkoalitions-Verhandlungen. Weitere Beiträge sind willkommen.

Wenn „die Gesellschaft“ schon keine Begeisterung für die Richtungskoalitionen (rot-grün, rot-gelb) aufbringen kann, wie sollte sie es für die gänzlich offene und unbestimmte Ampel-Perspektive, von der sich bislang niemand sonderliche Fortschritte in die Richtung versprechen kann, die er/sie favorisiert? Wenn die Ampel zustande kommt, wird sie zunächst nichts als das mühevoll erarbeitete Projekt einer kleinen politischen Klasse sein, das sich zudem ständig knapp unterhalb des Bruchpunktes bewegen wird. Ist dies aber ein Grund, die Ampelkoalition zu ignorieren oder gar abzulehnen? Dagegen spricht, daß es sich um die einzige denkbare Konstellation handelt, die sowohl der politischen Klasse als auch der städtischen Öffentlichkeit einen Lernprozeß aufzwingt, den alle Beteiligten bitter nötig haben. Die SPD ist gefangen in machtpolitischen Kalkülen, die jede inhaltliche Neuorientierung unendlich erschweren und die rotgrüne Hoffnung, daß hier Wiederbelebungsversuche im Schnellverfahren greifen könnten, hat sich als Illusion erwiesen. Die Ampel ist die einzige Chance, daß die SPD mittelfristig neue Köpfe und neue Ideen hervorbringt. Für die GRÜNEN wird es darum gehen, zwischen berechtigten gesinnungsoppositionellen Ansprüchen und der immer nachdrücklicher werdenden Notwendigkeit zur politischen Mitgestaltung gangbare Wege zu finden, die eben nicht zur Aufspaltung der Partei führen. Das wird schwierig: Wenn schon die Fortsetzung von Koalitionsverhandlungen von einem beträchtlichen Teil mit der Beschwörung grüner Identität abgelehnt wird, woher soll dann das Selbstbewußtsein kommen, nach innen wie nach außen eine Regierungsbeteiligung durchzustehen? Auch dies braucht länger als Koalitionsverhandlungen dauern können und dürfen.

Und für die FDP wird schließlich zu testen sein, ob sie jenseits ihrer traditionellen Rolle als Zünglein an der Waage in der Lage ist, die Tragfähigkeit liberaler Positionen unter Beweis zu stellen.

„Bremen braucht Bewegung“ war das grüne Motto im Wahlkampf, und die Ansätze für neue Beweglichkeit sind durchaus auszumachen: in den Stadtteilbeiräten entwickeln sich bunte Allianzen, die eine Abkehr von der Dominanz der Parteiräson signalisieren zugunsten der Stadtteilinteressen; Interessengruppen, Verbände und Initiativen werden sich von einer Lobbypolitik qua Parteinähe verabschieden müssen; und selbst in den SPD-Ortsvereinen wird man sich wieder um politische Inhalte streiten müssen. Wirksam können diese Ansätze erst werden, wenn ein Regierungsprogramm auf dem Tisch liegt. Stetige „Koalitionsverhandlungen“ auf allen Ebenen des politischen Alltagsgeschäfts, das ist die Perspektive, für die sich die Mühe lohnt.

Günter Warsewa, ehemaliges Mitglied des grünen Lndesvorstands