»Wir wissen nicht mehr, wer wir sind«

■ Der Onkel des getöteten Mete Eksi kämpft mit Schuldgefühlen, weil er mit zur Demonstration aufgerufen hatte, die in Krawallen endete/ Es sei immer schwieriger, ein Berliner Türke zu sein

Kreuzberg. Gestern nachmittag klingelte das Telefon beim Türkischen Elternverein in Kreuzberg. Ein aufgebrachter Vater, einst Gründungsmitglied, kündigte seinen Austritt an; der Verein habe nicht verhindern können, daß der Schweigemarsch für den getöteten Mete Eksi in eine aggressive politische Kundgebung ausartete. Er fühle sich mißbraucht. Sein Gesprächspartner ist ausgerechnet Mehmet Eksi, der Onkel von Mete und ebenfalls Gründungsmitglied des Elternvereins. Wenn jemand über diese Demonstration und den anschließenden Krawallen enttäuscht und verbittert ist — dann er. »Das hat Mete nicht verdient«, sagt er. Und er fühlt sich schuldig, denn er war es gewesen, der immer wieder während des Demonstrationsverlaufes auf die Familie einwirkte, nicht aus Protest gegen die Schreier nach Hause zu gehen. »Das war ein Fehler«, sagt er nachträglich und zeigt sich — auch wenn es kein Trost ist — erleichtert darüber, daß Metes Eltern wenige Stunden vor dieser Veranstaltung Deutschland für zwei Wochen in Richtung Türkei verlassen haben. Morgen wird der Leichnam des 19jährigen Schülers auf dem türkischen Friedhof am Columbiadamm nach islamischer Tradition gesalbt und das Trauergebet, das »Cenaze Namazi« gesprochen. Wenige Stunden danach wird der Körper nach Istanbul geflogen und dort beerdigt.

»Der Tod von Mete hat unser Leben in Deutschland in Frage gestellt«, sagt Mehmet Eksi, »wir hatten immer geglaubt zwei Heimaten zu haben, Deutschland und die Türkei.« Dieser Glaube sei jetzt verloren. Mete, in Berlin geboren und der deutschen Sprache mächtiger als der türkischen, habe sich immer als Vermittler der beiden Kulturkreise verstanden, auch der Onkel versucht es zu sein. Aber die Vorstellung, ein Berliner Türke sein zu können, sei zerstört worden, nicht durch »die Deutschen«, sondern durch einige Rassisten, sagt Mehmet. »Wir können nicht mehr sagen, wer wir eigentlich sind.« Deswegen ist die Trauer so grenzenlos, die Tat sei in einer Atmosphäre der gesellschaftlich akzeptierten Gewalt möglich geworden. »Wir fühlen uns so unsagbar ohnmächtig«, sagt Mehmet Eksi. Sein Gefühl sagt ihm, aus Deutschland wegzugehen, sein Verstand aber sagt nein, das wäre eine Kapitulation, diesen Gefallen sollte man den Rassisten und den Politikern, die immer von dem viel zu vollen Boot reden, nicht tun. »Ich möchte gerne, daß wir bestimmen, wieviel Türke wir sind und wieviel Deutscher wir sein möchten.«

Mehmet Eksi wird, auch wenn er noch nicht weiß, wie mit der wachsenden Ohnmacht umzugehen ist, in Berlin bleiben. Hier ist er Lehrer in einer deutsch-türkischen Grundschulklasse, hier hat er sich nach jahrelanger politischer Verfolgung in der Türkei zu Hause und sicher gefühlt. »Wie lange noch?«, fragt Mehmet und erzählt, daß seine eigenen Kinder sich seit dem Überfall auf Mete nicht mehr aus dem Haus trauen. »Sie haben nur noch Angst«, sagt er und wieder fühlt er sich schuldig. Er trägt schwer daran, daß er es gewesen war, der Metes Eltern vor zwei Jahren überredete, in Deutschland zu bleiben. Sie wollten sich damals die Rente auszahlen lassen und in Istanbul ein türkisches Leben beginnen. Aus Rücksicht auf die Kinder — Mete und seine drei Geschwister besitzen alle die deutsche Staatsangehörigkeit — habe die Familie den Rückumzug verschoben. Jetzt gebe es für die Familie keine guten Gründe mehr in Berlin zu bleiben, sagt Mehmet Eksi. aku