Integrierte Vermarktungsstrategie

„Elektronische Medien“ haben bei Bertelsmann die Milliardengrenze überschritten  ■ Von Ben Vart

Mediengeschichte wird gemacht, es geht voran. Ob es sich um den größten privaten Fernsehsender RTLplus, um das erste Pay-TV-Projekt mit Erfolgsaussichten („Premiere“) oder das erste länderüberschreitende Privatradio-Programm („Klassik Radio“) handelt — Bertelsmann, nach dem Time/Warner- Zusammenschluß „nur“ noch zweitgrößter Medienkonzern der Welt, mischt kräftig mit. Sein Konzernbereich „Elektronische Medien“ boomt wie keine andere Abteilung des Hauses, allein dieser Bereich hat im Geschäftsjahr 90/91 nun zum ersten Mal die Milliardengrenze überschritten.

Dabei ist der TV-Bereich der schnellstwachsende Bereich bei Bertelsmann. Üppiger denn je sprudelt die Werbequelle, aus der die privaten Fernsehanbieter ihre ständig steigenden Umsätze bestreiten (mit Ausnahme von „Premiere“). Kein Wunder, daß Lahnstein, der ehemalige sozialdemokratische Finanzminister in Bonn und seit Jahren im Bertelsmann-Vorstand zuständig für die neuen Medien, gerade diese Bereiche verstärkt ausbauen will. Nachdem „Premiere“, dessen Programm- Codierung trotz einer Konzern-Auslobung von 1.000 Mark für findige Hacker immer noch nicht geknackt werden konnte, das diesjährige Sollziel von 250.000 Abonnenten schon erfüllt hat, arbeiten die Verantwortlichen aus Gütersloh gleich an einem neuen TV-Konzept. Derzeit wird mit Hochdruck ein deutscher News-Kanal (Arbeitstitel: „Westschiene“) mit Sitz in Köln vorbereitet, der voraussichtlich Anfang 93 starten soll (vgl. taz vom 1.11. 1991).

Beim Rundfunk machen die Bertelsmänner nicht solche großen Sprünge, macht doch das alte Dampf- und das neue, vom Satellit abgestrahlte Digitalradio mit seinen 1.092 Millionen gerade mal ein Prozent des Gesamtumsatzes aus. Nachdem der Versuch, das profilierte Ost- Jugendprogramm „DT 64“ gemeinsam mit anderen zu erwerben, an überforderten Lokalfürsten in den neuen Bundesländern gescheitert ist (Lahnstein: „Ich hab' es satt, bei irgenwelchen frischbestallten Staatskanzlei-Referenten die Klinken zu putzen“), hegt man derzeit kein Interesse an speziellen Sendern für jugendliche Hörer. In diesem Marktsegment wittert man offensichtlich derzeit nicht das große Geld. Da bringt die Vermarktung von Sportrechten mehr, genauer: das Zehnfache gegenüber dem Radio-Bereich. Ob es um Bayern München (weltweite Rechte an der Fußball-Bundesliga) oder um Boris Grafs Rückhand (Europarechte der US-Open) geht — Bertelsmann pokert, mischt und gewinnt mit.

Der aktuelle Gütersloh-Dreh ist die verstärkte Anbindung von bekannten Personen an den Medienkonzern. Neu auf den Gütersloher Gehaltslisten sind Hajo Friedrichs und Franz Beckenbauer. Während der profilierte Fernsehjournalist dem RTLplus-Nachwuchs Nachhilfe erteilen wird, wird sich der Name Beckenbauer demnächst in allen Bertelsmann-Produktlinien metastasenartig verbreiten. Bertelsmann-Manager Schiphorst: „Wir werden Beckenbauer vielfältig nutzen.“ Bedeutet: Der ehemalige Teamchef wird bei RTLplus kommentieren, für die Bertelsmann-eigenen Gruner&Jahr-Tageszeitungen (z.B. 'Morgenpost‘ in Hamburg und Dresden) Kolumnen mit seinem Namen abzeichnen und bei Bertelsmann das nächste Buch veröffentlichen.

„Integrierte Vermarktungsstrategien“ wurde das auf der Pressekonferenz genannt, zu der der Konzern letzte Woche in Hamburg geladen hatte. Wie viele der gut drei Dutzend anwesenden Journalisten wohl schon für Bertelsmann arbeiten? Es gibt Antworten, vor denen graut es selbst einem taz-Autoren.