PORTRAIT
: „Es ist meine Aufgabe, die Behörden zu nerven“

■ Pastor a.D. Ulrich Finckh ist seit 20 Jahren Vorsitzender der Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer

Pazifist ist er und Antimilitarist. Leicht kann er Menschen in seinen Bann ziehen, schnell hat man vor ihm Achtung und Respekt. Sich selbst hält er „für aufbrausend, früher sogar jähzornig und für spitz“. Andere, sagt er, finden ihn „sicher rechthaberisch, ungeduldig und viel zu umtriebig“, viele auch autoritär, was falsch sei, ihn aber nicht weiter störe. Wohl ist er eine Autorität: dominant, voller Detailwissen und schlagkräftiger Argumente. Er rückt in den Mittelpunkt, ohne sich dorthin zu drängeln.

Kriegsdienstverweigerer sind das Aufgabengebiet von Ulrich Finckh. Der heute 64jährige evangelische Pastor a.D. ist ihnen ein engagierter und unermüdlicher Anwalt. In diesen Tagen feiert er sein 20jähriges Jubiläum als Vorsitzender der Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Und weil er im Herbst seinen Dienst als Gemeindepfarrer mit der Pension getauscht hat, kann er sich der Zentralstelle richtig widmen.

Finckh ist weniger Teamer sondern Macher. Und immer dann ein unbelehrbar Radikaler, wenn der Staat es wagt, Menschen- und Grundrechte anzutasten. Er geht voran und wehe, andere halten nicht sein Tempo. Zusammen mit fünf Mitarbeitern hilft er Gewissenstätern bei der Durchsetzung des Grundrechts, unterstützt Soldaten im täglichen Militärfrust, kämpft für einen sinnvollen Zivildienst. „Es ist meine Aufgabe, die Behörden zu nerven“, sagt Finckh ohne Koketterie. Und das tut er unablässig — ob der vielen Anlässe. Ungereimtheiten, Rechtsbeugung und Willkür in aller Dienstherren Behörden, wo der Wehrpflichtige zur Verwaltungsnummer verkommt. Die Ministerialbeamten „sind sicher sehr verärgert über uns, wenn wir ihnen wieder mal öffentlich Versäumnisse nachweisen konnten.“

Vorstandssitzung der Zentralstelle: Ein Sixpack von Vorständlern und Mitarbeitern, am Kopf des Tisches sitzt Finckh. Er referiert neue Fälle, fragt um Lösungen, obwohl er sie schon weiß. In seinem phänomenalen Gedächtnis sind die ältesten, kompliziertesten Detailprobleme abgespeichert und bei Bedarf sofort parat. Finckh, meist in vorgebeugter, fast aggressiver Körperhaltung blättert in seinen gigantischen Aktenstapeln, liest, macht Notizen während die anderen diskutieren; aber auf ein Stichwort ist er zur Stelle, argumentiert klar und politisch differenziert in seinem sympatischen Tonfall — dabei weiterschreibend.

Finckh, der Humorvolle. Sein unnachahmliches Lachen reißt alle mit, wenn er zum Beispiel von den neuesten Ergüssen des katholischen Kollegen Bischof Dyba hört. Der erklärt sich zum Vorbild für andersdenkende Christen, hat einen Reserveleutnant zum Diözesan- Jugendseelsorger ernannt und von „einer sehr sanftmütigen Bundeswehr“ gesprochen. „Ungeheuerlich“, sagt Finckh. Dieses Wort ist gleich nach „abenteuerlich“ seine Lieblingsvokabel für Denkprodukte der anderen Seite.

Nicht mehr zu zählen sind Finckhs Auftritte im Bonner Beirat für den Zivildienst (seit 1972), die Hintergrundgespräche in Ministerien, Behörden, bei (un-) belehrbaren Politikern, die Eingaben an den Petitionsausschuß des Bundestages, Hunderte Broschüren und Büchlein der Zentralstelle, Abertausende Einzelberatungen. Erfolge? „Wir haben vieles Schlimmeres verhindert“, sagt er. Und an den Verweigererzahlen in mittlerweile Millionenhöhe „einen kleinen Anteil“. Daß er dem Verfassungsgericht zweimal erst nachträglich nachweisen konnte, daß die Bundeswehr mit manipulierten Zahlen Grundsatzurteile herbeigelogen hat, ärgert ihn noch heute. „Abenteuerlich, so was.“ Höchsten Respekt hat Finckh für Menschen, die ihrem Gewissen folgend sich in Lebensgefahr begeben: In Moskau, sagt er, „haben mutige Generäle einfach die Befehle verweigert und damit den Putsch verhindert; und zur gleichen Minute wird hier argumentiert, nur Wehrpflichtige garantieren die Demokratie“. Einfach „a-ben-teu-er-lich“.

Ulrich Finckh ist in den letzten Kriegstagen 1945 selbst noch Soldat gewesen. Auf eine „generelle Bewertung von Soldaten“, besonders solchen aus dem Hardthöhen-Apparat, verzichtet er, und hat sich auch noch nicht entschieden, ob er sie „dumm oder doch bösartig“ finden soll. Aber wenn ihm so ein zackiger Hauptmann auf der Straße entgegenkommt, dann denkt er immer, „die sind doch nie richtig erwachsen geworden“. Bernd Müllender