„Lebend kriegen sie mich nicht“

■ Um die Auslieferung Erich Honeckers nach Deutschland herrscht zwischen Jelzin und Gorbatschow Uneinigkeit/ Das russische Kabinett beschloß die Ausweisung/ Honecker sucht Hilfe bei Gorbatschow

Berlin (taz) — Dem einstigen Staats- und Parteichef der DDR wird der Lebensabend gründlich verdorben: Erich Honecker soll abgeschoben werden. Acht Monate nach seiner Flucht in die Sowjetunion beschloß das russische Kabinett am Freitag unter Führung von Boris Jelzin, den 79jährigen auszuweisen. Die Flucht Honeckers in die Sowjetunion, so der russische Justizminister Nikolai Fjodorow gegenüber der Nachrichtenagentur 'Interfax‘, sei eine schwere Verletzung internationalen, sowjetischen und russischen Rechts gewesen — sein Aufenthalt in der russischen Republik sei „illegal“.

Ob Honecker allerdings tatsächlich, wie von der Bundesregierung wiederholt verlangt, in die Bundesrepublik ausgewiesen wird, blieb vorerst offen. Zum einen konnte Fjodorow keinen Termin für eine Ausweisung nennen, unklar ist auch, ob Honecker in ein anderes Land oder eine andere Sowjetrepublik ausreisen könnte. Zum anderen hat sich der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow entschieden gegen eine Auslieferung Honeckers ausgesprochen.

Gorbatschow möchte heute um die Flucht Honeckers am liebsten „überhaupt nicht soviel Aufhebens machen“. In einen Interview mit dem 'Stern‘, das am Tag der Entscheidung des russischen Kabinetts geführt wurde, erklärte Gorbatschow: „Die Sache Honecker hat vor allem mit Humanität zu tun.“ Erich Honecker sei ein „alter Mann“, der unter den Nationalsozialisten mehr als zehn Jahre im Gefängnis gesessen habe. Ob in der Bundesrepublik nach der deutschen Einheit nun „auch auf diesem Gebiet ein Revanchismus, ein Weg der Rache eingeschlagen werden“ solle?

Wenn man die Geschichte der letzten Jahrzehnte betrachte und dabei die selbe Elle wie bei Honecker anlege, dann „müßten wir warscheinlich alle Staatsmänner und Regierungschefs nicht in Rente, sondern ins Gefängnis schicken“.

Mit einer schnellen Rückkehr Honeckers rechnete gestern auch Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) nach Rücksprache mit dem deutschen Botschafter, nicht. Der neue Hoffnungsträger der Liberalen urteilte: „Ich glaube, die Sache ist noch nicht ausgestanden.“ Trotzdem hofft Kinkel, daß der russische Kollege einen Termin für die Ausweisung im Gepäck haben könnte, wenn sich heute die osteuropäischen Justizminister auf Kinkels Einladung in Bonn zu einer Konferenz einfinden. Auch der russische Parlamentspräsident Boris Jelzin wird diese Woche in Bonn erwartet. Jelzin, der in erster Linie über die Verbesserung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen verhandeln möchte, erklärte im Deutschlandfunk: „Wenn es an meinem Willen gelegen hätte, ich würde Honecker mit zurückbringen.“ Aber „Gorbatschow gibt ihn nicht frei“.

Honecker selbst hatte am 10. Oktober in einem Fernsehinterview noch dargetan, daß er freiwillig in die Bundesrepublik zurückkehren wollte, wenn nur der „ungesetzliche Haftbefehl“ gegen ihn wegen der Schüsse an der innerdeutschen Grenze aufgehoben würde. Vier Monate zuvor hatte er den Schießbefehl noch verteidigt und von einer „Hexenjagd“ gegen ehemalige DDR-Politiker geredet. Die Berliner Justiz, am Samstag von der russischen Entscheidung noch nicht unterrichtet, zeigte sich auf die mögliche Auslieferung Honeckers vorbereitet. Justizsprecherin Burghardt: „Wir haben eine große Haftanstalt.“

Die 'Dresdener Morgenpost‘ will unterdessen über einen Vertrauten der Honecker-Familie erfahren haben, daß sich der ehemalige Staatschef mit allen Mitteln gegen eine Abschiebung wehren will. Vom Ausweisungsbeschluß der russischen Regierung hat Honecker demnach aus der sowjetischen Nachrichtensendung „Wremja“ erfahren. In einem Telefongespräch mit Freunden in Berlin habe daraufhin Ehefrau Margot angekündigt, Honecker werde einen Asylantrag beim sowjetischen Präsidenten stellen. Der Vertraute des Ehepaares wird mit den Worten zitiert: „Honecker hat sehr entschlossen gesagt, lebend kriegen sie mich nicht. Er würde eher Selbstmord begehen, als sich zwangsweise ausliefern lassen.“ Wolfgang Gast