Gegen graue Herren

■ Kinderläden in Kreuzberg wurden nach 20 Jahren gekündigt

Kreuzberg. In dem Drama steigender Gewerbemieten gehen in der Regel zuerst die Kleinen Baden: In der Dresdener Straße bekommen jetzt 30 Kinder, acht Erzieher und zwei Auszubildende diese Gesetzmäßigkeit des freien Marktes zu spüren. Zwei von drei Läden der Neuen Kindergruppe Kreuzberg (NKK) sind zum Mai kommenden Jahres ihre Räume gekündigt worden. Die NKK ist Anfang der 70er aus einer Spielplatzinitiative am Oranienplatz entstanden. Mitten im Sanierungsgebiet kümmern sich die Erzieher seitdem um die, die rund um den sozialen Brennpunkt eine Betreuung am nötigsten haben: Kinder von Arbeits- oder Obdachlosen, Sozialhilfeempfängern und Alleinerziehenden, um Kinder, die nicht in den üblicherweise mittelschichtsgeprägten Kinder- oder Schülerläden unterkommen. In drei Läden in der Dresdener Straße werden die Kinder bis zu zwölf Jahre lang betreut. Bis zur Einschulung gehen sie drei Jahre in den Vorschulladen, dann in die EKT Momo und ab zehn Jahren in den Schülerladen für Größere. Der Vorschulladen und Momo sollen nun einem anderen Gewerbe weichen. 30 Kinder säßen auf der Straße und die Idee der langfristigen Betreuung wäre gescheitert.

»Oft kennen wir nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrer und Familien hier im Kiez jahrelang«, erzählt eine Erzieherin bei einem Treffen in den Räumen der Erneuerungskommission Kottbusser Tor. »Die Kinder brauchen dringend Bezugspersonen und Schutzräume. Wir sind ein Bindeglied zwischen Eltern, Kindern und Schule«, begründet sie Vertretern des Bezirksamtes, warum die NKK am Oranienplatz erhalten bleiben muß.

Die meisten Kinder wohnen in der direkten Umgebung. Ein Vater bringt seine beiden Kinder seit neuestem aber auch aus Schöneberg. Das Obdachlosenheim in Kreuzberg hat ihn kürzlich verlegt. Auch dort hatten die Erzieher Zettel ausgehängt und auf ihre Kinderläden aufmerksam gemacht. »Gerade Kinder, die kein Zuhause haben, brauchen diesen Anlaufpunkt«, erzählt der Sozialarbeiter Wolfgang Gersdorf.

Doch die NKK ist mehr als nur ein »Anlaufpunkt«: Ferien auf dem Bauernhof stehen ebenso auf dem Programm wie Unterstützung der Eltern bei Ämterbesuchen, Übersetzungen vom Türkischen ins Deutsche oder Gespräche mit der Familie. Auch Kreuzbergs Jugendstadtrat Helmut Borchardt unterstützt das Konzept. Einflußmöglichkeiten des Bezirksamtes auf die beiden Hauseigentümer sieht er allerdings nicht. Und die verhandeln nur noch über ihren Anwalt: In der kommenden Woche gibt es noch einmal Gespräche — für Kinder, Eltern und MitarbeiterInnen die letzte Hoffnung, die NKK doch noch vor dem Aus zu bewahren. jgo