Hungern für Frieden in Jugoslawien

■ Seit Dienstag vergangener Woche sind sechs Menschen an der »Mahnwache Brandenburger Tor« in den Hungerstreik getreten/ Das Ziel der zwei Deutschen und vier Jugoslawen: Ein runder Tisch, um das Morden zu beenden

Mitte. Fayesch Edin ist müde. Die Augen kann er kaum noch offenhalten. Auf die Frage, wie es ihm gehe, hebt er die rechte Hand und macht die Bewegung einer Schlange nach. Soweit gut, aber etwas schwindelig sei ihm. Edin ist erst seit letztem Freitag in der Bundesrepublik, gleich am Samstag schloß er sich der Gruppe der Hungerstreikenden am Brandenburger Tor an. Der 31jährige ist Serbe und floh aus seiner Heimat Bosnien-Herzegowina, weil er nicht mehr schießen wollte. Mit eigenen Augen, so erklärt er in einem Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch, habe er 35 erschossene Menschen auf einem Haufen gesehen. Mit Hilfe deutscher Freunde will er einen Asyl-Antrag stellen. Zurück will der gelernte Kraftfahrzeugfahrer solange nicht, wie in seiner Heimat der Krieg tobt.

Edin gehört zu mittlerweile sechs Menschen, zwei Deutschen und vier Jugoslawen, die seit Dienstag vergangener Woche vor dem Brandenburger Tor in den Hungerstreik getreten sind. Sie wollen ihren Hungerstreik unbegrenzt fortsetzen. Lediglich Fruchtsäfte und Tee und Kaffee nehmen sie zu sich — und Zigaretten gegen das Hungergefühl. Ihre Forderungen: Kroaten und Serben sollen sich an einen runden Tisch setzen, um eine Lebensperspektive in ihrer Heimat auszuarbeiten. Außerdem verlangen sie ein Gespräch mit dem Erzbischof von Split und dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, die für einen solchen runden Tisch die Schirmherrschaft übernehmen sollen. Und schließlich: Die Serben sollen die besetzten kroatischen Gebiete wieder räumen.

Noch vom Wochenende stammen die unzähligen Blumen, die Kroaten spontan auf dem Platz der Mahnwache niederlegten, als sie von der Einnahme der kroatischen Stadt Vukovar durch serbische Truppen hörten.

Zusammen mit Edin liegt in einem der Campingzelte, an dessen Kopfende eine Maria-Figur wacht und eine Kerze brennt, auch Friedhelm Lennartz, ein Deutscher. Der 42jährige ist schon länger als die anderen dabei, nämlich genau neun Tage. Mit Hungerstreiks hat er seine Erfahrungen, schließlich ist es schon sein dreizehnter. Früher hungerte der Westberliner für die Freilassung politischer Gefangener in der DDR oder zusammen mit Bärbel Bohley und Wolf Biermann 1990 für den persönlichen Zugriff der Stasi-Akten. In Jugoslawien war er im Sommer dieses Jahres und sah dort Frauen mit aufgeschnittenen Bäuchen und abgeschnittene Kinderköpfe.

Er beklagt sich darüber, daß das Interesse der Menschen, die während des Golfkrieges zu Tausenden auf die Straßen gingen, für einen Krieg in Europa nur gering sei. Seine Motivation für diesen Hungerstreik: »Wenn es Deutsche gibt, die in diesem Krieg Waffen liefern, muß es auch welche geben, die für den Frieden sind.«

Daß auf den Infotafeln der Mahnwache, die seit dem 28. Juni dieses Jahres besteht, auch Flugblätter rechtsradikaler Organisationen kleben, etwa der »Patrioten für Deutschland«, ist ihm sichtlich unangenehm. Aber, fügt er hinzu, »hier sind wir nun mal so demokratisch«.

Den Hungerstreik will er solange weiterführen, wie die Forderungen erfüllt sind. Vor allem will er, daß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen die Hungerstreikenden aufsucht und sich für ihre Belange einsetzt. Ein erster Schritt wäre ein vernünftiges beheiztes Zelt vom »Deutschen Roten Kreuz«, denn nicht der Hunger sei die größte Gefahr, sondern eine Lungenentzündung. Severin Weiland