Weißensee

■ Ein Spaziergang auf einem jüdischen Friedhof

Derjüdische Friedhof Weißensee war — das erzählt Lilo Clemens — in den Jahren nach 1942 der einzige Ort jüdischen Lebens in Berlin, der nicht von SS und Gestapo durchkämmt wurde. Das Tor zum Friedhof schien sie abzuhalten. Lilo Clemens wurde als 15jähriges Kind einer Mischehe 1942 auf den Friedhof zwangsverpflichtet. Sie versteckte hier die geschmuggelten Thorarollen aus den zerstörten Synagogen, sie assistierte dem Rabbiner bei den Beisetzungen, die alle nach altem Ritus durchgeführt wurden, sie legte mit einem ebenfalls zwangsverpflichteten Jungen zwei Felder für Urnen an, die aus den Konzentrationslagern nach Weißensee abgeschickt worden waren. Bei einem Gang über den Friedhof erzählt sie ihre Geschichte.

Einmal, so erinnert sie sich, sei sie auf dem Weg zum Friedhof von einer Gruppe Jugendlicher mit Steinen beworfen worden. „Guck mal, da ist ein Judenmädel“, hätte die Horde geschrien, als sie den gelben Stern entdeckten. Über 45 Jahre später. Auf dem Friedhof harken ABM-Kräfte die Wege, reißen Unkraut heraus. Menschen aller Alterstufen, die der Umbruch in der DDR aus Arbeit und Sicherheit herausgeschmissen hat. Haben Sie sich mit dem Nationalsozialismus schon einmal beschäftigt, würden Sie einem einzelnen Ausländer, der von einer Gruppe angegriffen wird, helfen, fragt Regisseur Michael Trabitzsch. Nein, sagen die meisten ABM-Arbeiter, ich halte mich da raus, die haben es verdient, jeder ist sich selbst der Nächste, Deutsch soll deutsch bleiben. Einer sagt, daß die Juden ihr eigenes Gesetz machen würden und sie, die ABMler, wie Menschen zweiter Klasse behandelten. Ist die Vergangenheit wirklich vorbei? Diese Frage schwebt über allen Geschichten, die in dem Halb-Stunden-Film Das Tor erzählt werden. Da ist die Friedhofsverwalterin, die in ihrem Schreibtisch einen Davidstern aus KZ-Stacheldraht aufbewahrt, den ihr Vater, der Dachau überlebte, ihr hinterlassen hat. Da ist der Pförtner, der vor 33 Jahren hier anfing, und inzwischen seinem Gefühl nach mehr Jude als Deutscher ist. Und da sind immer wieder die ABM-Kräfte mit ihrem Vokubular aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Es ist ein depremierender Film, den der junge Regisseur für den DFF gedreht hat, ein trauriger Film mit wunderschönen ruhigen Bildern, unterlegt mit Schönbergs Sinfonie „Verklärte Nacht“. aku

„Das Tor“ Mitwoch 22.15 Uhr DFF.