Was ist nur los mit mir?

Zum Start des Frankfurter Schauspiels unter Peter Eschberg  ■ Von Arnd Wesemann

Das Frankfurter Schauspiel hat einen neuen Intendanten: Professor Peter Eschberg, vormals Intendant des Bonner Schauspiels, zuständig für Hauptstadtkultur, verantwortlich für rigorose Spartenteilung und eine erhebliche Förderung junger Autoren durch Uraufführungen. Nach Klärung der Hauptstadtfrage eröffnet Professor Peter Eschberg das Frankfurter Schauspiel, das eineinhalb Jahre in einem ruhigen, entspannten Schläfchen des Interims Hans-Peter Doll seine Existenz gefristet hat — unauffällig ging es in Kur nach jener Strapaze des Opernbrands, der Ära Günther Rühle samt Faßbinder-Skandal und den unvergessenen Theaterleistungen Einar Schleefs.

Frankfurts Theater war aufregend. Nachdem der Faßbinder- Skandal die Jüdische Gemeinde in Rage versetzt hatte (und da ein unter Doll herzlos geschusterter Nathan ausverkauft, aber ohne weitere Folgen blieb), eröffnet Peter Eschberg seine Saison versöhnlich, im Jüdischen Gemeindezentrum.

Eschberg eröffnet seine Ära mit der Inszenierung eines kleinen Chors, der aus sechs älteren Schauspielern (junge sind kaum mehr im Ensemble) besteht, die um einen Nelkenhügel stehen — das Publikum sitzt drumherum. Mitten auf dem Hügel, mitten in den Nelken hockt sprachlos ein linkshändiger, hübscher Bub, der in seinem Tagebuch malt. Das Dreivierteljahr des David Rubinovicz ist ein jüdisches Tagebuch, niedergeschrieben von Hausautor Lothar Trolle, das die Schikanen gegen polnische Juden 1940/41 beschreibt, die Willkür der Ermordung jüdischer Bürger auf der Landstraße, auf der sie sich ungeschützt bewegen mußten, zu Fuß oder per Fahrrad. Mit hinterhältigen, gräberfüllenden Folgen. Da nimmt der schweigsame Junge ein Fahrrad, fährt einmal über den Grabhügel durch die Trauernelken und geht ab. Aus. Dieses bescheidene Spielchen zur Eröffnung des Schauspiels Frankfurt ehrt die Veranstalter. Aber mehr als eine Pflichtübung war's nicht. Der schlohweißhaarige Altwiener Papa Eschberg hat mehr auch nicht nötig: Die Geste liegt ihm näher als die Interpretation, das Profitum des Souveräns näher als die Stellungnahme zielgerichteten Schauspiels. Bei Eschberg genügt es, daß es klappt. Für einen, der sich wohlfühlt, reicht das. Was ihm in Frankfurt höchstens fehlt, ist Wiener Schmähgemütlichkeit. Im Januar holt er sie nach: mit einer Ferdinand- Raimund-Inszenierung.

Noch befindet Eschberg sich auf Publikumssuche. Er veranstaltet „Außenproduktionen“, um Abonnenten aller Schichten und Religionen zu gewinnen, an der Uni, in der Fabrik, im Arabella Grand Hotel. In einer Bootshauskneipe unten am Mainufer läßt er den steirischen Witz kultivieren: In dieser Kneipe fand die zweite Premiere statt (auf die noch weitere in kurzer Folge zu erwarten sind). In dieser Kneipe, die alles hat, was eine Kneipe braucht, „Resopal“ und einen „Stammtisch mit gußeisernem Mahnmal in der Mitte“, wird eine „Wirtshausoper in einem Rausch“ gegeben, was soviel heißt wie eine markige Mischung aus Watzmann und Geier-Wally.Heimatlos heißt das Stückchen von Anton Prestele und Reinhard P. Gruber. Nikolaus Büchel hat es inszeniert; das aberwitzige Orchester aus Babygeschrei, Violine, Pups, Klarinette, Gestöhn, Trompete, Onomatopoesies und Posaune, Tuba und Axt, Akkordeon und Schlagzeug dirigiert Thomas Hertel in Ländlerjodeltracht.

Das Prinzip der Inszenierung ist einfach und grandios, die Story noch einfacher und banal. In einer Kneipe weitab sitzt die Maria auf ihrem Balg, der Wirt auf seinem Bier, der Hubertl, den die Friedl liebt, liebt die Maria, der Erhardl liebt die Maria auch, der Hubertl erwischt die beiden und murkst den Erhardl ab, Friedl murkst Maria ab. Der Erhardl steht wieder auf und murkst noch einmal alle und dann sich selbst. Der Erzähler, der immer stiller wird, murkst das Balg ab. Da isch endlich Ruh'...

Der Erzähler erzählt in aller Detailversessenheit die Banalität der Liebe hinter den Bergen. Wie ein Marionettenspieler dirigiert er die Schauspieler, das Orchester unterstreicht jeden Seufzer, die Songs sind lachtränenreich sozialkitschig heimatlos: „Ich bin Vater los, Mutter los. Was ist nur los mit mir? Ich bin ein loser Bub. Bin arbeitslos.“ Das ist Brettl mit Kunstblut (wie Eschberg vor einem Jahr Heiner Müllers Macbeth inszenierte — mit eimerweise Blut). Die Jugand is saa herzarfrieschend...

Manager Eschberg schaut munter zu, mit seiner Frau und Hauptdarstellerin Carmen-Renate Köper (die mit dem Bonner Abschiedsständchen, Becketts Glückliche Tage, auch Frankfurt beglücken wird). Der Dresdener Wolfgang Engel ist Oberspielleiter geworden, die Kostümbildnerin Kazuko Watanabe gehört zum Stamm ebenso wie der Schauspieler und geniale Autor F.K. Praetorius. Weiterhin dabei sind Hans Hollmann und Jossi Wieler — Bonn ist an den Main gekommen. Wie Eschberg in seinen gesammelten Ansichten und Geständnissen gesteht (Peter Eschberg Theatermacher, jüngst erschienen im Bouvier-Verlag), liegt Frankfurt aber auch auf dem Weg — zurück nach Wien.

—Lothar Trolle: Das Dreivierteljahr des David Rubinowicz. Regie: Peter Eschberg. Bühne: Peter Pabst. Mit Carmen-Renate Köper, Günter Lampe, Iris Erdmann. Im Jüdischen Gemeindezentrum. Nächste Aufführungen: 27.11., 2.12., 15.12.

—Reinhard P. Gruber/ Anton Prestele: Heimatlos im Bootshaus. Regie: Nikolaus Büchel. Bühne: Arno Breuers. In der Bootshauskneipe. Nächste Aufführungen: 24.11., 27.11., 1.12., 4.12.