: Die Beherrschung des Bösen
■ Else Lasker-Schülers „IchundIch“ in Stuttgart
Wenn Faust mit Mephisto Schach spielt, könnte hier das Gute gegen das Böse antreten. Dem ist nicht so, denn eine klare Opposition gibt es in Else Lasker-Schülers IchundIch nicht, sind beide doch eine Figur, ein mittenzwei gerissenes IchundIch, das seinen Konflikt durch eine theatralische Tragödie trägt, die oft so lyrisch klingt, als habe Büchner seine Sprachbilder gedichtet und dabei überviele Gedanken allzu eng in Paarreime gezwängt. Das Stück, das die vereinsamte Else Lasker-Schüler 1940 im Jerusalemer Exil bei „sibirischer Kälte“ (wie sie in einem Brief schreibt) entwarf, ist unfertig geblieben, ein fragiles Traumspiel mit schroffen Kanten, dem die jüdische Lyrikerin trotz des bereits wütenden Nationalsozialismus eine heilsgeschichtliche Wendung gab. Faust und Mephisto kämpfen zwar mit den zwei Seelen in ihrer Doppelbrust, aber im vierten Akt läßt Mephisto die einmarschierenden Nazis qualmend und stinkend im Boden versinken. Der gefallene Engel sehnt sich in die Reihen der guten Engel zurück, während Faust von der unverhohlenen Art des Satans erschreckt und fasziniert ist — so wie der Höllensohn wäre er gerne, nicht bloß ein Mensch des bleichen Gedankens, ein Hamletepigone.
Der deutsche Faust Else Lasker- Schülers ist schuldig, weil ihn die Macht des bösen Tatmenschen fasziniert. Wie weit er sich tatsächlich in die Greuel des Nationalsozialismus verstricken würde, konnte und wollte sie 1940 nicht ahnen, als sie das Böse sich selbst richten ließ. Das Stück harrte dann — auch aufgrund berechtigter Bedenken des Nachlaßverwalters — bis 1979 seiner Uraufführung, die Michael Gruner in Düsseldorf besorgte. Es setzte sich nicht durch und wurde nur selten gespielt; jetzt hat wieder Michael Gruner, diesmal in Stuttgart, IchundIch inszeniert — und läßt seinen Faust/Mephisto so Schach spielen, als befänden wir uns in einem Kammerspiel, in dem eine Zweierkonfiguration wissenschaftlich ausgelotet und vorgeführt wird und nicht eine Höllenrevue aus der Zeit, in der Hitler gerade Polen überfallen hatte und der Rußlandfeldzug bevorstand.
Goebbels, Göhring, Hess und von Schirach kommen im Höllengrund vorbei und wollen ÖL für die Kriegsmaschine. Für die beiden Schachspieler ist das Nazi-Quartett jedoch lediglich eine störende Ablenkung. Mephisto läßt ab und zu die Flamme in der Handfläche züngeln — mit einer übermannsgroßen Baalsmaske wird Abgründiges suggeriert. Immer wohnen wir einer zu beherrschten Inszenierung bei, die die Beherrschung des Bösen so exakt vorführt, daß Else Lasker-Schülers Höllenspektakel der Reiz des Unfertigen ausgetrieben wird.
Abgesehen vom letzten Akt spielt das Stück in einem „Theater im Höllengrund am Davidsturm“. Regisseur Max Reinhardt ist aus Hollywood angereist, die Proben zu überwachen. Das Spiel im Spiel, die Eingriffe und Pannen während der Probe werden jedoch nicht konsequent genutzt — weder in Else Lasker-Schülers Entwurf, noch in Michael Gruners Inszenierung. Der Regisseur konnte sich nicht dazu durchringen, etwa mit grotesken Revueeinsprengseln eine Endzeit-Atmosphäre zu schaffen, in der selbst Faust und Mephisto Probleme mit dem Schachspiel bekämen. Wenn in Stuttgart die Tanzteufel auf die Bühne kommen, sieht das aus wie eine Probe eines Operettenchores, und die drei Ritz Brothers (in Stuttgart drei Schauspielerinnen) hinterlassen mit ihren Einlagen einen Eindruck, als wollten sie Theaterproben karikieren. Wahrscheinlich wollte Michael Gruner das auch — und uns das Getändel an der Probenperipherie zeigen, während sich das Goethe-Paar am Schachbrett müht. Das spannungsarme Stück wird dadurch allerdings noch ärmer, und wäre Henriette Thimig nicht gewesen, wir wären ganz arm nach Hause gegangen.
Henriette Thimig spielt Goethes Marthe Schwerdtlein, die Else Lasker-Schüler ebenfalls ins Höllenreich versetzt hat. Auch sie wird dabei zur Doppelfigur, denn Gretchens naive Liebe ist in der lüsternen Kupplerin verborgen, und Henriette Thimig spielt beides an der Grenze zur Debilität. Erscheint Mephisto, zuckt sie, kichert und will abstoßend verführerisch sein. Bevor sie mit dem kleinen Teufel Goebbels hinter die Büsche geht, könnte sie glatt als jugendlich Naive durchgehen. Engel werden in der Hölle nicht mehr älter und tragen trotzdem die Jahrhunderte in sich.
Dann kommt der sechste, letzte Akt, und wir sind nicht mehr im Theater im Höllengrund. Die Dichterin, die als Figur durch das Stück geisterte, ist jetzt im Garten eines Jerusalemer Augenarztes angelangt und kann sterben. Es passiert sanft und ohne Aufhebens. Wenige Jahre nach der Niederschrift des Stückes stirbt Else Lasker-Schüler. Jürgen Berger
Else Lasker-Schüler: IchundIch . Regie: Michael Gruner. Bühne: Uwe Oelkers. Kostüme: Gabriele Sterz. Mit Gerd David, H.-Dieter Jendreyko, Henriette Thimig, Karin Pfammatter, Dietlinde Hillebrecht. Staatstheater Stuttgart. Nächste Aufführung: 19.11.
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